Brenda Joyce
gefragt«, sagte sie.
»Hoffen wir, dass das auch weiterhin der Fall sein wird. Adieu,
Emerald«, sagte Solange Marceaux, denn das war der Name, den Francesca für
ihren Ausflug in das horizontale Gewerbe gewählt hatte.
Francesca brachte ein, wie sie hoffte, strahlendes Lächeln
zustande. »A bientôt«, erwiderte sie.
Kapitel 18
SONTAG,
31. MÄRZ 1902 – 15:00 UHR
»Sir? Das hier hat eben ein Bote gebracht. Der Junge sagte, es
sei dringend. Auf dem Umschlag steht kein Name.«
Hart hatte gerade die vierte und letzte der geschäftlichen
Besprechungen hinter sich gebracht, die seinen ganzen Tag beansprucht hatten.
Zwei davon waren zu seiner großen Zufriedenheit verlaufen: Das Resultat der
einen würde ihm ermöglichen, sein Schifffahrtsgeschäft bis nach Singapur und
Hongkong auszudehnen, die andere hatte ihn in die Lage versetzt, seinen ersten
van Gogh zu erwerben. Er hatte sich eben erst eine Zigarre angesteckt, um
diesen Augenblick des Triumphes zu genießen. Doch das gelang ihm nicht – nach
getaner Arbeit kehrten seine Gedanken sogleich zu Francesca zurück.
Er hatte sich den ganzen Tag über die größte Mühe gegeben, nicht
an sie zu denken. In der vergangenen Nacht hatte er sich in seinem
Arbeitszimmer eingeschlossen und war noch einmal seine Unterlagen
durchgegangen, um sich auf die heutigen Gespräche vorzubereiten. Er war bis
vier Uhr in der Frühe aufgeblieben, hatte dann aber trotz seiner Erschöpfung
nicht in dem Bett schlafen können, in dem er mit Francesca gelegen hatte, und
sich stattdessen für gerade einmal eine Stunde auf das Sofa im angrenzenden
Wohnzimmer gelegt. Anschließend hatte er sich gewaschen und rasiert, hatte
das Frühstück ausfallen lassen und war um halb sieben in seinem Büro gewesen.
Die erste Besprechung hatte um acht bei einem Arbeitsfrühstück in einem
privaten Club stattgefunden, und seitdem war ihm – bis jetzt – nicht ein
einziger Moment zum Nachdenken geblieben.
Hart sprang auf. Er wollte nicht über sie
nachdenken. Weder darüber, wie klug und wie unbefangen sie war, noch darüber,
wie sinnlich und anziehend er sie fand. Und erst recht nicht darüber, wie ihre
Augen, ihr Lächeln, ihre Berührung ihn betörten. Verdammt.
»Sir?«
Er hatte ganz vergessen, dass sein Sekretär auf der Schwelle
seines riesigen Eckbüros stand. Erleichtert blies er den dichten, kräftigen
Rauch seiner kubanischen Zigarre in die Luft. »Haben Sie schon Nachricht vom
Krankenhaus?«, hörte er sich fragen. Er hatte an diesem Tag bereits dreimal
einen Angestellten zum Bellevue Hospital geschickt. Leigh Annes Zustand hatte
sich verschlechtert.
Edward, ein schlaksiger junger Mann mit dünnem, blondem Haar und
einem dunkleren Schnurrbart, betrat das Zimmer, einen versiegelten Umschlag in
der Hand. »Rodney müsste jeden Augenblick zurück sein, Sir.«
Hart nickte düster. Wieder einmal sah er Leigh Anne still und
leichenblass in ihrem Bett liegen mit Bragg an ihrer Seite, der über die
regungslose Gestalt gebeugt dasaß. »Lassen Sie mal sehen.« Er legte die
Zigarre zur Seite. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hätte es ihn bis zu
einem gewissen Maße interessiert und auch amüsiert, eine von einem Boten überbrachte
Nachricht ohne Absender zu erhalten. So etwas bedeutete meist ein
ungewöhnliches Geschäft oder den Beginn einer verbotenen Affäre. Doch diese
Zeiten waren vorbei. Jetzt ließ es ihn völlig kalt.
Er schlitzte den Umschlag mit einem Brieföffner auf, dessen Griff
aus Elfenbein bestand, und zog das elegante, teure, cremefarbene Briefpapier
hervor. Die Schrift war anmutig geschwungen, die Rechtschreibung fehlerfrei.
Als Hart die Nachricht las, weiteten sich seine Augen.
Sehr
geehrter Mr Hart,
es
ist mir gelungen, das Problem, über das wir kürzlich gesprochen haben, zu
lösen. Bitte suchen Sie mich bei nächster Gelegenheit in meinen Geschäftsräumlichkeiten
auf. Gern schon am heutigen Abend.
Mit freundlichen Grüßen
Solange Marceaux
Hart faltete das Blatt sorgfältig. Seine Gedanken überschlugen sich,
und ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Solange Marceaux hatte
ein Kind für ihn beschafft. Er nahm sich vor, noch am selben Abend das Jewel aufzusuchen, und hoffte, diesen schmutzigen Fall damit aufklären zu
können. Wie gern hätte er Francesca davon erzählt!
Doch das war keine gute Idee. Nicht, wenn er ihr die Möglichkeit
geben wollte, ihrem Herzen zu folgen. Er erhob sich. Es war an der Zeit, seinem
Bruder einen Besuch abzustatten.
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