Brenda Joyce
– sie fühlte sich ausgesprochen unbehaglich. Doch es kam noch
schlimmer: Nun betrachtete Solange ihre Brüste und ihre Taille. Endlich nahm
sie gegenüber von Francesca Platz. »Sie sind eine sehr schöne Frau«, stellte
sie fest.
»Vielen Dank«, antwortete Francesca mit brennenden Wangen.
»Werden Sie etwa rot?«
»Aber nein. Mir ist nur warm«, log Francesca, die Hände im Schoß
gefaltet.
»Ich bevorzuge weniger Kosmetik. Die Mädchen hier sind elegant und
nicht übertrieben geschminkt.«
Francesca reagierte erstaunt, zuckte dann jedoch die Schultern.
»Ganz wie Sie wünschen, Madame.«
»Ich stelle grundsätzlich niemanden ohne entsprechende Referenzen
ein«, sagte die Bordellbetreiberin gelassen. Francesca griff lächelnd in ihre
Handtasche – auf so etwas war sie vorbereitet. »Ich habe Ihnen ein paar
Referenzen mitgebracht«, sagte sie, erleichtert, dass sie so umsichtig gewesen
war. Sie reichte Solange die Bögen.
Die Minuten verstrichen, während Solange die drei Briefe eingehend
studierte. Allmählich begann Francesca unruhig zu werden. Der erste Brief war
ein kurzes Schreiben von Rose. Die anderen beiden stammten aus Francescas eigener
Feder. Madame Marceaux würde gewiss nicht merken, das diese beiden bloße Lügen
waren. Francesca hatte zwei Bordellwirtinnen erfunden, für die sie angeblich in
den letzten vier Jahren in London gearbeitet hatte. Das waren Referenzen, die
niemand so leicht überprüfen konnte.
Endlich
blickte Solange Marceaux auf. »Sie haben also bis vorigen Monat in London
gelebt«, sagte sie und beobachtete Francesca dabei sehr genau. »Ich liebe
London.« Francesca lächelte und hoffte, nicht ausgetrickst zu werden. »Ich
auch.«
»Warum sind Sie denn dann wieder in die Vereinigten Staaten
zurückgekehrt – denn offensichtlich sind Sie doch Amerikanerin, nicht wahr?«,
fügte die Madame hinzu.
Francesca nickte und antwortete, ohne zu zögern: »Einer meiner
Freier hat sich bedauerlicherweise in mich verliebt.«
»Tatsächlich? Nur einer?«
»Oh, natürlich haben mich Dutzende Männer angefleht, sie zu
heiraten«, fuhr Francesca dreist fort, »aber in diesem Fall lagen die Dinge
anders. Dieser Mann war ein bekanntes Mitglied der Londoner Gesellschaft, und
unsere Liaison hätte ihm nur geschadet. Ich mochte ihn, verstehen Sie? Er war
ein Gentleman. Ich bin gegangen, damit sein Ruf unbefleckt blieb.« In diesem
Moment dachte sie mit einem Anflug von Bedauern an Rick Bragg.
»Wie großmütig von Ihnen. Und wie lautet der Name dieses Herrn?«
Francesca zog die Augenbrauen hoch. »Ich hoffe, Sie haben
Verständnis, dass ich diese Information nicht preisgeben kann.«
»Na schön.« Solange zuckte nicht einmal mit
der Wimper – es war unmöglich, zu erraten, was in ihrem Kopf vorging. Dann
sagte sie: »Ich habe selbst einige Jahre in London gelebt. Mir scheint, wir
waren sogar zur selben Zeit dort – im Jahr 1899. Allerdings habe ich nie von
einer Madame Tiffany gehört, während Mrs Stanton eine gute Freundin von mir
war.« Francesca, die diese Mrs Stanton frei erfunden hatte, wäre beinahe
in Ohnmacht gefallen. Doch sie fing sich rasch wieder und lächelte. Sie hatte
bei ihren erfundenen Referenzen keine weiteren Details genannt – weder Adressen
noch die Namen der Etablissements. »Wir leben nun einmal in einer kleinen
Welt.«
»Wie wahr. '99 war ihr Etablissement in einem hübschen Stadthaus
in Belgravia untergebracht. Befindet es sich immer noch dort?«
Francesca lächelte sie weiter an und ihre Gedanken überschlugen
sich dabei. Sie entschied sich, alles zu riskieren. »Wie Sie sicher wissen, gab
es in der Nachbarschaft einige Aufregung. Nachdem sogar die Polizei
eingeschaltet wurde, hat sich Mrs Stanton entschieden, nach Knightsbridge umzuziehen.«
»Tatsächlich?« Wieder wanderten die Augenbrauen der Madame in die
Höhe.
Francesca fühlte sich mittlerweile, als sei ihr das Lächeln ins
Gesicht gemeißelt. »Das neue Etablissement ist sogar noch hübscher als das
alte.«
»Knightsbridge ist ein reizender Vorort«, war alles, was Solange
Marceaux darauf sagte.
Wusste sie es? Wusste sie, dass Francesca eine Betrügerin war? Gab
es wirklich eine Mrs Stanton? Francescas Bruder reiste häufig – hatte er
möglicherweise eine beiläufige Bemerkung gemacht, die sie sich unbewusst
gemerkt hatte? Oder war dies nur ein Trick?
Wie Calder bereits gesagt hatte: Diese Frau war zweifellos eine
meisterhafte Pokerspielerin.
Solange brach das Schweigen gerade
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