Brenda Joyce
womöglich richtig, so schrecklich dieser Gedanke auch
war.
»Wo habe ich bloß meine Manieren«, sagte Brian mürrisch, trat zur
Seite und öffnete die Tür. »Tut mir mächtig leid, Miss Cahill.«
Francesca legte ihm eine Hand auf den Arm. »Sie brauchen sich
wirklich nicht zu entschuldigen. Diese Sache muss Sie furchtbar mitnehmen.« Mit
einem Blick zu Hart betrat sie lächelnd die kleine, aber ordentliche Wohnung.
An einer Wand befanden sich ein Waschbecken und ein Ofen, an einer anderen ein
Bett, in dem zwei kleine Kinder lagen. Als sie eintrat, spähten die beiden
neugierig unter der Bettdecke hervor. Ein
Teil des Raumes war durch einen Vorhang abgetrennt – Francesca nahm an,
dass dort Emilys Eltern schliefen. Im Küchenbereich stand ein großer Holztisch mit
fünf Stühlen, in einer anderen Ecke des Zimmers ein Waschzuber. »Mr O'Hare,
dies ist ein Freund von mir, Mr Hart.«
O'Hare nickte Hart zu. »Kommen Sie rein. Nehmen Sie nur Platz.
Kathy, schau mal nach, was wir unseren Gästen anbieten können.«
Kathy
lächelte bitter und rührte sich nicht von der Stelle. Hart sagte ruhig: »Wir
haben gerade erst gegessen, Mr O'Hare, vielen Dank. Aber ein Glas Wasser wäre
ganz angenehm.«
Kathy ging sichtlich erleichtert zum Spülbecken, um seinem Wunsch
nachzukommen.
Während sie an dem Kieferntisch Platz nahmen, empfand Francesca
einen eigentümlichen Stolz auf Hart. Sie lächelte Kathy dankend zu, als diese
ein Wasserglas vor sie hinstellte, dann beugte sie sich zu O'Hare hinüber, der
an der Kopfseite des Tisches saß.
»Wer hat Emily zum letzten Mal gesehen, Mr O'Hare, und wann war
das?«
Brian O'Hare öffnete den Mund, um ihr zu antworten, aber er
brachte kein Wort heraus. Seine Wangen röteten sich, ebenso wie seine Augen und
seine Nase, er schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Kathy lief
um den Tisch herum, stellte sich neben ihn und legte ihm eine Hand auf die breite Schulter. »Ich werd's Ihnen
erzählen«, sagte sie mit kreidebleichem Gesicht. »Am Montag kam sie nach
Feierabend aus der Fabrik, ganz munter und fröhlich. Ich wollte noch mal losgehen, ein Brot kaufen, aber ich war so
furchtbar müde, und da hat sie mir das abgenommen.«
Ihr Gesicht nahm einen
Ausdruck tiefer Niedergeschlagenheit an. »Sie ist losgegangen und nicht mehr
zurückgekommen. Ich weiß noch, wie ich auf
die Uhr in dem Schaufenster auf der anderen Straßenseite geschaut hab
und mich gewundert hab, wo sie nur blieb. Da war's fünf. Um sechs fing ich an,
mir richtig Sorgen zu machen. Um sieben kam Brian nach Hause und hat sich gleich
auf die Suche nach ihr gemacht.« Tränen liefen ihr über die Wangen.
»Wann, glauben Sie, hat sie das Haus verlassen?«, fragte
Francesca.
»Gegen vier, halb fünf«,
flüsterte Kathy schmerzerfüllt.
»Ist sie im Lebensmittelladen gewesen?«
Kathy schüttelte den Kopf. »Will Schmitt, das ist der Besitzer,
der hat sie an dem Nachmittag nicht gesehen.«
Francesca schwieg einen Moment lang und blickte Hart an, um ihm
die Gelegenheit zu geben, selbst eine Frage zu stellen. Er begriff und sagte:
»Ist sie vor dem letzten Montag jemals verschwunden – für ein oder zwei Tage
vielleicht, oder auch nur für ein paar Stunden?«
»Nicht ein einziges Mal«, ertönte Brians Stimme. »Meine Tochter
ist 'n gutes Mädchen, und sie weiß, was sie zu tun und zu lassen hat.«
»Mr Hart hat es nicht böse gemeint«, versicherte Francesca und
legte ihre Hand auf die seine. »Wir müssen Ihnen nun einmal viele Fragen
stellen, und einige davon sind sehr persönlich.«
Brian nickte, wenn auch
sichtlich aufgewühlt. »Nur zu.«
»Glauben Sie, dass sie
weggelaufen ist?«, fragte Francesca. Brian schnaubte verächtlich.
»Nein.«
Francesca sah Kathy an, die den Kopf schüttelte. »Nein«, flüsterte
sie. »Da bin ich mir sicher, Miss Cahill.«
Francesca blickte kurz zu Hart
hinüber. Er neigte kaum merklich den Kopf – offenbar wollte er ihr bedeuteten,
sie solle in dieser Richtung weiter fragen. »Hatte sie einen Freund?«
»Nein!« Brian sprang heftig
auf. »Was bezwecken Sie mit diesen Fragen?«
Francesca erhob sich ebenfalls. »Ich versuche lediglich sicherzustellen,
dass sie nicht mit einem gut aussehenden jungen Mann davongelaufen ist, den
wir möglicherweise leicht aufspüren könnten.«
»So ist Emily nicht«, sagte Kathy mit bebender Stimme. »Sie ist
noch sehr unreif für ihr Alter und schüchtern, was Jungs angeht.«
Francesca wusste nicht mehr weiter. »Wo finde ich den
Weitere Kostenlose Bücher