Brenda Joyce
in dem nach und nach die
zweihundertvierzehn Gäste eintrafen, die zu der Verlobungsfeier ihres Bruders
eingeladen worden waren. Francesca war immer noch erschöpft von den Ereignissen
der vergangenen Woche. Bragg hatte sie nicht leicht davonkommen lassen – er
hatte Julia und Andrew berichtet, dass ihre Tochter einige Stunden von
MacDougal und Burton gefangen gehalten worden war. Ihre Eltern waren deshalb so
wütend auf sie, dass sie ihr bisher noch nicht einmal gesagt hatten, wie sie
sie zu bestrafen gedachten. Francesca hatte den Eindruck, dass Bragg in gewisser
Weise erleichtert gewesen war, ihren Eltern endlich alles erzählen zu können.
Die Presse feierte Bragg wegen der Aufklärung
des Entführungsfalls als Helden. Ein Reporter war sogar so weit gegangen, zu
sagen, er könne möglicherweise den nächsten Theodore Roosevelt abgeben.
Bei dem Gedanken an den Commissioner vollführte Francescas Herz
einen Hüpfer. In wenigen Augenblicken würde sie ihn wieder sehen! Natürlich
waren erst vierundzwanzig Stunden seit ihrer letzten Begegnung vergangen, aber
Evans Verlobung war das erste Mal, dass sie sich bei einem normalen,
gesellschaftlichen Anlass trafen.
Doch wo mochte Evan nur stecken? Er kam zu
seiner eigenen Verlobungsfeier zu spät, und während Julia ihre Verlegenheit
über diesen Umstand gut zu verbergen vermochte, wurde Andrew von Minute zu
Minute immer wütender. Mit einem unguten Gefühl ließ Francesca ihren Blick
suchend über die Gäste schweifen. Wie konnte sich ihr Bruder nur derart
verspäten?
Ihre Eltern standen mit Sarah Channing und
deren Mutter auf der Schwelle zum Empfangszimmer. Mrs Channing wirkte
angesichts der Lage verwirrt, aber Sarah schlug sich tapfer. Sie schien völlig
gelassen zu sein und lächelte jeden Gast höflich, wenn auch ein wenig
zurückhaltend an. Aber das war nun einmal ihre Art, wie Francesca inzwischen
wusste. Ihr fiel auf, dass Sarah in ihrem hellblauen Abendkleid mit dem
gerüschten Oberteil und dem mit Volants besetzten Saum wirklich hübsch aussah.
In diesem Moment trat Connie auf Francesca zu. »Wo kann er nur
sein?«, fragte sie leise. »Hoffentlich ist er wenigstens schon in seinem
Schlafzimmer und zieht sich um!«
Francesca lächelte ihre Schwester besorgt an.
Connie sah in ihrem kanariengelben Taftkleid umwerfend aus. Es brachte ihre
entblößten Schultern wunderbar zur Geltung. Um den Hals trug sie einen engen
Diamantreifen. »Ich fürchte, das bedeutet nichts Gutes, Con.«
Connie nickte. »Da gebe ich dir Recht. Aber Evan wird doch wohl
noch auftauchen?«
»Natürlich«, erwiderte Francesca entschieden.
Ihr Bruder mochte ein ungestümes Wesen haben und vielleicht auch ein wenig
verantwortungslos sein, wie ihr Vater immer behauptete, aber er war gewiss nicht
so verantwortungslos, dass er zu seiner eigenen Verlobungsfeier nicht erschien.
Andererseits war er auch noch nie zuvor derart von Andrew unter Druck gesetzt
worden.
Francesca fragte sich, wie sie sich an Evans
Stelle verhalten würde. Mit Sicherheit würde sie den Drohungen ihres Vaters
nicht nachgeben und gegen ihren Willen heiraten. Sie würde auf die große Liebe
warten – oder zumindest auf das, von dem sie glaubte, dass es die große Liebe
war.
Wieder einmal dachte sie an Bragg und musste
unwillkürlich lächeln. Doch dann ermahnte sie sich, sich nicht in etwas
hineinzusteigern, das gar nicht existierte. Sie hatten sich zwar geküsst, aber
dadurch war er noch lange nicht ihr Verehrer. Noch nicht. Abermals lächelte
sie.
»Nun ja, zumindest ist Jonny Burton wieder zu
Hause bei seiner Mutter und seinem Bruder«, sagte Connie und seufzte.
Genau in diesem Moment trat Bragg über die
Schwelle. Francesca sah, wie er die Hand ihres Vaters schüttelte und dann
Julia, Sarah und Mrs Channing begrüßte. Ihr Herz begann wie verrückt zu
klopfen, und sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Er war mit
Abstand der auffallendste Mann im ganzen Raum.
»Und Burton ist hinter Gittern. Jetzt wird man wohl erst einmal
seinen Geisteszustand untersuchen«, murmelte Francesca, die ihren Blick nicht
von Bragg zu lösen vermochte.
»Es ist einfach unvorstellbar, wie jemand
seiner eigenen Frau so etwas antun kann«, sagte Connie, die dem Blick ihrer
Schwester folgte und lächelte.
»Er wollte sie psychisch zugrunde richten«,
erwiderte Francesca. »Er wollte ihr das Herz brechen, wie sie das seine gebrochen
hat. Das war seine Art der Rache. Ich war dabei und habe gehört, wie er es
zugab.«
»Er
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