Brenda Joyce
zu
unterhalten. Francesca zitterte wie Espenlaub.
Jonny
Burton war tot.
Schon bald kehrte Bragg wieder zurück. Er wirkte um Jahre
gealtert. Die wenigen Krähenfüße um seine Augen waren
plötzlich ausgeprägter, ebenso wie die Falten
um seinen Mund. Er schien sich Francescas Anwesenheit gar nicht bewusst zu
sein. Mit gerunzelter Stirn schritt er auf seinen Schreibtisch zu.
Francesca stand schwerfällig von ihrem Stuhl
auf, wobei sie sich an der Lehne abstützen musste. Sie trat zu dem Polizeipräsidenten
und legte ihm sanft die Hand auf den Rücken. »Es ist nicht Ihre Schuld!«, hörte
sie sich mit Nachdruck sagen.
Bragg zuckte zusammen und schaute sie mit großen Augen an.
Offenbar hatte er sie tatsächlich vergessen.
»Falls der Junge tot sein sollte, ist es meine Schuld«,
erwiderte er gelassen. Viel zu gelassen.
»Falls?«, fragte Francesca leise.
Mit zusammengebissenen Zähnen trat Bragg einen Schritt beiseite,
sodass ihre Hand ihn nicht mehr berührte. Francesca verschränkte die Arme vor
der Brust. Sein Verhalten beunruhigte sie.
»Falls er tot sein sollte?«, wiederholte sie. »Der Polizist sagte doch ...«
Er schnitt ihr das Wort ab. »Ich weiß, was
Heinrich gesagt hat.« Sein Tonfall war kühl und scharf. »Aber in dieser Stadt
wimmelt es von Leichen, und darunter sind auch viele Kinder.«
Francesca benötigte einen
Moment um zu begreifen, was er damit sagen wollte. Dann keuchte sie überrascht
auf.
»Sie glauben, dass Jonny
vielleicht noch am Leben ist? Dass das Ohr von einem anderen Kind stammt?«
»Es ist zumindest eine Möglichkeit«, erwiderte Bragg. Er ließ sich
so schwer auf seinen Schreibtischstuhl fallen, dass dieser ächzte.
War es wirklich möglich, dass das Ohr von
einem anderen Kind stammte? Oder war es eher unwahrscheinlich?
Gab sich der Commissioner vielleicht einem
Wunschdenken hin? Unwillkürlich schlang Francesca die Arme fest um ihren
Körper.
»Na schön, lassen Sie uns einmal annehmen, das Ohr gehörte Jonny«,
sagte sie.
Bragg hatte aus dem Fenster gestarrt und wirbelte nun in seinem
Stuhl herum und blickte ihr in die Augen.
»In diesem Fall wäre der Täter eindeutig
verrückt und grausam dazu«, fuhr sie fort. »Und es läge in seiner Absicht, den
Burton die schlimmsten seelischen Qualen zu bereiten. Sehe ich das richtig?«
In Braggs Schläfen pochte es. »Fahren Sie fort«, sagte er grimmig.
Francesca fühlte sich zunehmend unbehaglicher. »Und wenn das Ohr
nicht Jonny gehört, sondern einem anderen toten Kind abgeschnitten wurde,
hätten wir es ebenfalls mit einem Verrückten zu tun, der zudem der grausamsten
Art der Folter
frönt. Aber das hieße auch, dass er ein
gewisses Interesse daran hat, den Jungen am Leben zu lassen.« Dieser letzte
Gedanke, der ihr beim Sprechen gekommen war, ließ sie ganz aufgeregt werden.
Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung!
»Nun, in beiden Fällen haben wir es also mit einem Verrückten zu
tun. Entweder ist er ein geisteskranker Mörder oder
einfach nur geisteskrank.« Bragg erhob sich und trat vor
Francesca. »Es tut mir Leid, dass Sie diese letzte Entwicklung zufällig
mitangehört haben. Sie dürfen unter keinen Umständen mit irgendjemandem darüber
sprechen. Haben Sie mich verstanden?«
»Ich werde kein Wort darüber verlieren«,
erwiderte sie zögernd.
»Was ist los? Haben Sie etwa schon etwas verraten?«, fragte er wie
aus der Pistole geschossen.
Sie durfte niemals vergessen, dass er einen scharfen Verstand
besaß! »Ich habe meiner Mutter von der dritten Nachricht erzählt«, antwortete
sie leise.
Er verzog das Gesicht. »Ich wünschte, das hätten Sie nicht getan.«
»Sie wird es bestimmt nicht weitererzählen!«,
rief Francesca. »Bitte machen Sie ihr klar, dass sie ihr Wissen für sich behalten
muss. Sie haben keine Ahnung, wozu zum Beispiel Reporter fähig sind, Miss
Cahill. Irgendwie gelingt es ihnen immer, Einzelheiten über Dinge
herauszubekommen, von denen sie eigentlich gar nicht wissen sollten. Ich möchte
nicht, dass irgendwelche Details dieses Falles auf den Titelseiten
sämtlicher Zeitungen der Stadt breitgetreten werden. Das würde meiner Ansicht
nach diesen Verrückten nur weiter anstacheln – und es gleichzeitig schwieriger
machen, ihn zu finden.«
Francesca dachte an Kurland, der unten auf sie wartete, um sich
mit weiteren Fragen auf sie zu stürzen.
»Sobald ich wieder zu Hause bin, werde ich mit Mama sprechen.«
»Ich danke Ihnen. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen
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