Brenda Joyce
schluchzte lauter und sagte dann: »Ich habe gelogen. Ich habe Sie angelogen
und auch die Polizei, Miss Cahill. Sie hat Hoeltz geliebt. Und er sie. Gott,
ich hasse ihn!«
Francesca tätschelte mitleidig seinen Rücken. Sie stand auf und
trat ans Fenster, zog die Vorhänge zur Seite, um es zu öffnen. Ein Schwall
eisiger Luft schlug ihr entgegen. Sie winkte grimmig. Ihr schlauer Plan war
fehlgeschlagen.
Neville kauerte noch immer auf dem Sofa. Er weinte zwar nicht
mehr, wirkte aber zutiefst niedergeschlagen. Francesca flüsterte: »Es tut mir
ja so leid. Wir werden ihren Mörder finden, Mr. Neville.«
Er sah sie an. »Ich bewundere Sie, Miss Cahill. Melinda war wie
Sie, müssen Sie wissen. So tapfer und willensstark und intelligent.« Er sank in
sich zusammen. »Sie hat mich nicht geliebt. Nicht im Geringsten. Dabei bin ich
doch ihr Bruder!«, rief er.
»Ich bin mir sicher, dass sie Sie geliebt hat«, sagte Francesca
mit sanfter Stimme.
Er sah sie traurig an und schien nicht von ihren Worten überzeugt
zu sein.
Bragg betrat mit Newman und Hickey das Zimmer. Er warf einen Blick
auf das Szenario, das sich ihm bot, und stellte fest: »Damit wäre Neville wohl
entlastet.«
»Sieht ganz so aus«, stimmte Francesca zu und rieb sich die
Schläfen. Wenn Farr der Mörder war, warum hatte er sich wohl nicht ködern
lassen? Entweder war er zu schlau oder aber er war doch unschuldig, und damit
blieb ihnen nur noch ein Verdächtiger: Andrew LeFarge.
Ebenso, wie es aufier Francesca nur ein
weiteres Opfer gab, das den Überfall des Würgers überlebt hatte: Sarah
Channing.
»Bragg!«, rief Francesca. »Sarah – wir müssen zu Sarah, bevor der
Mörder wieder zuschlägt!«
Ihre Blicke begegneten sich. Er stutzte, begriff gleich darauf,
was sie meinte, und machte auf dem Absatz kehrt. Gemeinsam hasteten sie aus
Melinda Nevilles Wohnung.
Bragg hämmerte gegen die Tür, die umgehend geöffnet wurde. Francesca
rief: »Wo ist Sarah?« Der Türsteher blinzelte erstaunt und erwiderte: »Ich
glaube, sie ist ausgegangen.«
Francesca starrte Bragg bestürzt an, der ebenso aufgebracht
schien wie sie selbst. »Wohin ist sie gegangen?«, fragte er den Dienstboten.
»Ich weiß es nicht, Sir.«
Francesca begann zu zittern. Sarah war
ausgegangen, und falls sie selbst mit ihrer Theorie richtig lag, machte sich
ihre Freundin damit zur leichten Beute für einen weiteren Angriff.
»Commissioner! Miss Cahill! Ich dachte mir doch, ich hätte die
Tür gehört!« Abigail Channing betrat strahlend die Eingangshalle.
»Ich fürchte, wir sind in einer
Polizeiangelegenheit hier«, erklärte Bragg knapp. »Wir müssen Sarah finden,
Mrs. Channing. Haben Sie eine Ahnung, wo sie sich aufhält?«
Mrs. Channing überlegte kurz. »Sie hat etwas von einer zweiten
Chance gemurmelt und ist dann einfach hinausgerannt. Ich weiß nur, dass sie
heute Morgen eine Nachricht erhalten hat.«
Francesca blieb beinahe das Herz stehen. Sarah lief in eine
Falle. »Bitte denken Sie gut nach, Mrs. Channing! Wir müssen wissen, wohin
Sarah gegangen ist – und mit wem sie sich getroffen hat.«
Mrs. Channing reagierte erschrocken. »Ich
kann es wirklich nicht sagen. Sie war so aufgeregt und in einer solchen Eile.
Aber halt! Vielleicht finden wir diese Nachricht ja irgendwo in ihrem Zimmer –
es sei denn, sie hat sie mitgenommen.«
Fünf Minuten später wurde Sarah Channings hübsches rosa-weißes
Schlafzimmer auf den Kopf gestellt. Francescas Angst wuchs mit jeder Minute,
die verstrich. Weder auf dem Sekretär noch auf der Kommode war eine Nachricht
zu finden, auch nicht im Ankleidezimmer. »Versuchen wir es im Atelier«,
flüsterte sie.
»Oh! Da fällt mir etwas ein! Sie hat eins ihrer Gemälde
mitgenommen. Es war in braunes Packpapier eingeschlagen«, sagte Mrs. Channing.
Francesca starrte sie einen Moment lang an, ehe sie begriff, was das zu bedeuten hatte. Ein Gemälde, eine Nachricht, eine
zweite Chance ... »Hoeltz!«
Die
Eingangstür des Sandsteinhauses, in dem sich Hoeltz' Galerie befand, war nicht
abgeschlossen. Sarah drückte sie verwirrt auf, nachdem auf ihr wiederholtes
Klopfen niemand erschien. Weder unten im Eingangsbereich noch auf der Treppe
war Licht, und da es nur ein einziges Fenster neben der Eingangstür gab, war es
drinnen beinahe dunkel. Sarah zögerte. Ihr war etwas unbehaglich zumute.
Dabei gab es doch wirklich keinen Grund dafür,
schließlich bot sich ihr hier überraschend eine höchst willkommene
Gelegenheit. Sie konnte es sich nur so
Weitere Kostenlose Bücher