Brenda Joyce
gefasst zu bleiben, und Bragg lächelte ihr noch einmal
beruhigend zu, bevor er Brendan Farr zurief, er möge eintreten.
Der Polizeichef öffnete die Tür. Er war ein
hochgewachsener Mann mit breiten Schultern, und Francesca gelang es nur mit
großer Mühe, gleichmäßig zu atmen, als er sie erblickte und stehen blieb.
Falls er verärgert war, so ließ er es sich nicht anmerken. Sein
Gesichtsausdruck war unmöglich zu deuten. Er zuckte buchstäblich mit keiner
Wimper. Farr war von kräftiger Statur und hatte große Hände. Francesca schlug
das Herz bis zum Hals und sie war einer Ohnmacht nahe.
O Gott, war sie vielleicht die Verrückte hier, dass sie glaubte,
einer aus den Reihen der New Yorker Polizei – noch dazu einer der führenden
Köpfe – sei der Würger? Ihr Puls hämmerte beängstigend laut in ihren Ohren.
»Commissioner.« Farr nickte. Dann schenkte er Francesca ein
höfliches Lächeln. »Sie wollten mich sehen?«
»Ich hätte von dem Überfall auf Miss Cahill
am gestrigen Abend informiert werden müssen«, sagte Bragg mit ruhiger Stimme
und trat auf den anderen Mann zu. Rick Bragg war über einen Meter achtzig groß,
hatte breite Schultern und einen muskulösen Körper, aber neben Farr wirkte er
klein und schmächtig. Francesca vermutete, dass Farr ihn um gut zehn
Zentimeter überragte. Ihr Herz schlug noch schneller. Das Atmen fiel ihr
schwer. Sie fühlte sich gefangen, wäre am liebsten aus dem Raum geflüchtet. Sie
brauchte Luft – sie hatte das Gefühl zu ersticken.
War sie tatsächlich imstande, diese Sache
durchzuziehen? Selbst den Köder für die Falle abzugeben? Bragg hatte sich nur
äußerst widerwillig auf ihren Plan eingelassen, und das auch erst, als sie ihm
gedroht hatte, ihn allein, lediglich mit Joels Schutz, in die Tat umzusetzen.
Jetzt wusste sie, dass es ihr ohne Braggs Hilfe niemals gelungen wäre, die
Falle zu stellen, denn Farr jagte ihr fürchterliche Angst ein.
»Tut mir leid«, erwiderte Farr mit dem
Anschein aufrichtiger Zerknirschung. »Es war schon spät, dazu noch ein
Samstagabend. Ich dachte, wir hätten die Situation unter Kontrolle. Ich habe
mich entschieden, Sie nicht zu stören, da Ihre Frau gerade erst in die Stadt
zurückgekehrt ist.« Er warf Francesca einen unpersönlichen Blick zu. Ein kalter
Ausdruck lag in seinen Augen – oder bildete sie sich das nur ein?
»Wenn etwas Ähnliches noch einmal geschieht,
dann setzen Sie mich davon in Kenntnis, egal ob es Tag oder Nacht oder
auch Heiligabend ist. Newman bringt Neville her. Er müsste jeden Moment hier
sein.«
Es war schwer, in Farrs Gesicht zu lesen. »Es
war gestern Abend bereits zu spät, um zu überprüfen, ob er ein Alibi für die
Zeit des Überfalls auf Miss Cahill hat. Ich wollte heute Abend persönlich ins
Royal gehen, um zu sehen, was ich in Erfahrung bringen kann.«
»Sehr schön«, versetzte Bragg. »In der Zwischenzeit werden wir
Neville gründlich vernehmen.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich das übernehme?«, fragte Farr.
»Aber ganz und gar nicht«, gab Bragg zurück.
Francesca beobachtete die beiden Männer. Beide würden unschlagbar
gute Pokerspieler abgeben. Es war unmöglich zu erraten, was ihnen durch den
Kopf ging.
Newman betrat das Zimmer in Begleitung eines
verschlafen dreinblickenden Thomas Neville. Neville machte darüber hinaus
einen derart ungepflegten Eindruck, dass es beinahe so schien, als habe er in
Anzug und Krawatte geschlafen.
»Nehmen Sie Platz«, forderte ihn Bragg auf und zog einen unbequem
wirkenden Holzstuhl an den Schreibtisch.
Neville starrte ihn zornig an. »Ich pflege sonntags lange zu
schlafen, Commissioner. Ich verwahre mich dagegen, an einem Sonntagmorgen von
Ihren Trotteln aus dem Bett gezerrt zu werden.«
»Wir möchten uns lediglich vergewissern, wo Sie sich am gestrigen
Abend aufgehalten haben«, erklärte Bragg. »Setzen Sie sich.« Das war ein
Befehl.
Neville ließ sich auf den harten, lehnenlosen Stuhl fallen und
seufzte. Er blickte kurz zu Francesca hinüber. »Ich weiß bereits, dass Sie
meine Schwester immer noch nicht gefunden haben«, sagte er.
»Und woher wissen Sie das?«, erkundigte sich
Bragg.
»Ich habe Inspector Newman gefragt«, lautete Nevilles kaltschnäuzige
Antwort.
Stille machte sich breit. Francesca starrte Neville an, doch egal
wie große Mühe sie sich auch geben mochte, sie empfand keine körperliche
Reaktion auf ihn, wie das bei Farr der Fall war. Ihr Instinkt weigerte sich
seltsamerweise, sie vor ihm zu warnen.
Farr
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