Brenda Joyce
glaube,
dass er nicht nur mich, sondern Frauen im Allgemeinen hasst, Bragg.«
»Das wissen wir nicht. Soweit es mir bekannt ist, hat er eine
Mätresse.«
»Er ist
nicht verheiratet, oder?«
»Nein, das war er nie«,
antwortete Bragg nachdenklich.
»Wie eigenartig«, bemerkte
Francesca und fuhr dann fort: »Zu Beginn dieser Ermittlung stellte mein Bruder
die einzige Verbindung zwischen Sarah und Miss Conway dar.«
Er blickte sie prüfend an.
»Willst du etwa damit andeuten, dass mein Polizeichef versucht, dir durch
deinen Bruder eins auszuwischen?« Wiederum bemühte er sich, gelassen zu wirken,
doch Francesca sah den zweifelnden Ausdruck in seinen Augen.
»Ja«, flüsterte sie. »Und Melinda und Miss Holmes sind ihm in die
Quere gekommen.«
Bragg starrte sie einige Augenblicke lang an.
»Aber was hätte er damit gewonnen? Hat er Sarah und Miss Conway ausschließlich
deshalb überfallen, um deinem Bruder Schwierigkeiten zu bereiten? Um ihn und
deine Familie leiden zu lassen? Um dich leiden zu lassen?«
»Irgendjemand hat der Presse den Tipp
gegeben, dass mein Bruder in die Angelegenheit verwickelt ist«, erinnerte ihn
Francesca.
»Schön und gut, aber das hätte wirklich jeder sein können«,
entgegnete Bragg ein wenig gereizt.
»Ein Mann hat sich als Polizist ausgegeben und die Streifenbeamten
weggeschickt, die vor dem Haus der Channings Wache stehen sollten.«
Wieder
starrte er sie nur an.
»Unser Mörder ist ein Wahnsinniger«, fügte sie hinzu und blickte
ihm dabei fest in die Augen.
Bragg nickte grimmig. Er wusste, was sie
damit sagen wollte. Die Motive eines Wahnsinnigen waren nun einmal nicht
vollkommen nachzuvollziehen. Nachdenklich bemerkte er: »Für mich hat er auch
nur Verachtung übrig.«
»Der Würger hat seine Taten genossen, Bragg,
und das nicht nur in sexueller Hinsicht. Er ist furchtlos.« Ein Schauer lief
ihr über den Rücken, aber es entsprach nun einmal der Wahrheit.
Bragg erhob sich unvermittelt. »Ich glaube, du täuschst dich. Aber
ich werde deine Theorie nicht einfach so abtun. Allerdings möchte ich, dass wir
absolutes Stillschweigen bewahren«, sagte er. »Ich werde Peter damit
beauftragen, ihn mit der nötigen Diskretion im Auge zu behalten.«
Francesca schluckte. »Das ist eine gute Idee.« Es verstand sich
von selbst, dass er keinen seiner Leute vom Präsidium damit beauftragen konnte,
den Polizeichef zu beschatten. »Ich habe auch eine Idee«, setzte sie zögernd
hinzu und ihr Herz schlug mit einem Mal schneller vor Angst. Wäre sie
wirklich imstande, so etwas zu tun?
Bragg blickte sie mit undurchdringlicher
Miene an.
»Ich finde, wir sollten unserem Mörder eine Falle stellen, Bragg.
Er ist hinter mir her. Sein erster Anschlag ist gescheitert. Aber er wird es
ganz bestimmt noch ein zweites Mal ...«
»Nein!«, rief Bragg entsetzt.
Sie erhob sich. »Wir sollten uns mit Farr und Newman in deinem
Büro treffen. Bring Neville mit, da wir ja jetzt wissen, dass Hoeltz als Täter
ausscheidet. Beginne mit seiner Vernehmung. Dann werde ich deutlich machen,
dass ich mit dem Verlauf der Ermittlung unzufrieden bin, weil ich glaube, dass
wir eine Spur in Melinda Nevilles Wohnung übersehen haben. Ich werde allein
dorthin gehen. Ich vermute, dass Farr mir folgen wird, wenn er tatsächlich der
Würger ist.«
»Auf gar keinen Fall«, stieß Bragg hervor.
»Aber du wirst dich mit deinen Männern dort verstecken.« Ihr Herz
schlug vor Furcht heftiger. »Wie sollen wir ihn sonst jemals zu fassen
bekommen?«
»Du wirst nicht den Köder in einer solchen Falle abgeben,
Francesca«, widersprach Bragg kategorisch. »Und damit ist die Diskussion
beendet.«
Francesca starrte ihn an. Ihr Pulsschlag dröhnte in ihren Ohren.
Sie hatte noch niemals in ihrem Leben größere Angst verspürt.
Er blickte sie alarmiert an. »Was hast du
vor?«, rief er.
»Ich kann unserem Mörder die Falle entweder allein stellen,
Bragg, oder wir tun es gemeinsam«, sagte sie.
Kapitel 22
SONNTAG, 23. FEBRUAR 1902 – 11:30 UHR
Francesca
erstarrte, als jemand an Braggs Bürotür im Präsidium klopfte. Es war Sonntag
und in dem fünfstöckigen Gebäude herrschte eine unheimliche Stille – keine
Schreibmaschinen waren zu hören, keine Telegrafen übermittelten ihre
Nachrichten, keine Telefone läuteten. Selbst die Mulberry Street lag ruhig da.
Bei ihrem Eintreffen hatten sie nur einen einzigen Menschen gesehen: einen
Bettler, der auf der Eingangstreppe zum Präsidium schlief. Francesca ermahnte
sich, ruhig und
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