Brenda Joyce
kehrte der Fremde schnellen Schrittes zurück. Francesca wagte
nicht, ein weiteres Mal um die Ecke zu schauen, obwohl sie es nur zu gern getan
hätte. Aus Angst, dass der Eindringling ihre Gegenwart spüren und ihr Versteck
in der Küche entdecken könnte, hielt sie den Atem an.
Als sie hörte, wie die Haustür geöffnet und wieder geschlossen
wurde, sprang Francesca auf, rannte ins Esszimmer, schob die Vorhänge zur Seite
und spähte mit heftig klopfendem Herzen auf die Straße hinaus. Ein hübscher Gig
fuhr gerade von der Bordsteinkante weg, und Francesca sah, dass außer dem Kutscher
niemand darin saß. Doch der Mann war leider zu weit entfernt, als dass sie sein
Gesicht hätte erkennen können.
Francesca starrte dem Wagen nach. Wer zum Teufel
war da gerade in Georgette de Labouches Haus spaziert, um einen Blick auf ihren
toten Liebhaber zu werfen? Wer würde so etwas tun und dann, ohne ein Wort zu
sagen, einfach wieder verschwinden?
Was in aller Welt ging hier vor sich?
Francesca eilte in den Salon zurück. Sie hatte den
Schreck überwunden, war aber ausgesprochen verwirrt. Warum hatte der
Eindringling nicht um Hilfe gerufen? Warum hatte er nicht versucht, Georgette
zu finden? Hatte er etwa damit gerechnet, Paul tot auf dem Boden im Salon
vorzufinden?
Sie blickte zuerst auf den Toten und dann zur Uhr auf dem
Kaminsims. Es war Viertel nach zwölf; wenn Bragg zu Hause gewesen war, müsste
er jeden Moment hier eintreffen. Francesca atmete tief durch.
Jetzt, da der Moment der Gefahr vorüber war,
funktionierte ihr Verstand wieder, und sie begann sich Fragen zu stellen. Waren
Pauls Frau, seine Kinder, sein Golfspiel, sein Club und seine Mätresse wirklich
sein Lebensinhalt gewesen? Ob er nicht doch Feinde gehabt hatte? All dies waren
sehr wichtige, für die Untersuchung entscheidende Fragen. Nachdenklich starrte
sie auf die Leiche. Obwohl sie wusste, dass sie am Tatort eigentlich nichts
anrühren sollte, trat Francesca langsam auf die Leiche zu. Dies war schließlich
ihr erster Fall, und sie hatte vor, ihn zu lösen – und zwar allein! Vorsichtig
schlug sie das Jackett des Mannes zurück und entdeckte eine Wölbung in seiner
Hosentasche. Eine Geldbörse – die würde ihr gewiss weiterhelfen.
Sie versuchte, an die Hosentasche zu gelangen, musste aber
feststellen, dass es äußerst schwierig war, dabei nicht in das bereits
trocknende Blut auf dem Boden zu treten. Bragg entging selten etwas, und
Francesca wollte nicht, dass er merkte, dass sie den Toten berührt hatte.
Schließlich gelang es Francesca, mit zwei Fingern in die Hosentasche des
Mannes zu gelangen. Sie spürte das harte Leder der Geldbörse zwischen ihren
Fingerspitzen.
Mit einem Gefühl des Triumphes
zog sie die Börse aus der Hosentasche. Doch das Lächeln verging ihr rasch, als
sie ihr im selben Moment aus den Fingern glitt und in die Blutlache fiel.
»Verflixt noch mal!«, entfuhr es ihr.
Francesca erstarrte. Wie laut ihre Worte in
Gegenwart des Toten geklungen hatten! Sie schluckte, griff nach der Börse und
stand auf. Dann blickte sie sich um, entdeckte aber nichts, womit sie das Blut
hätte abwischen können, und öffnete seufzend die Börse.
Außer einer Menge Bargeld, dem Francesca keine Aufmerksamkeit
schenkte, steckten mehrere Visitenkarten in der Börse. Auf der ersten stand:
MR PAUL RANDALL
89 EAST 57th STREET
NEW YORK CITY
Francesca wagte es nicht, die Karte an sich zu
nehmen, und prägte sich stattdessen die Adresse ein. Als sie anschließend einen
Blick auf die anderen Visitenkarten warf, entfuhr ihr ein Keuchen. Auf der
letzten Karte stand:
CALDER HART, PRÄSIDENT
HART INDUSTRIES & SHIPPING CO.
NO. 1 BRIDGE STREET
NEW YORK CITY
Unten auf die Karte hatte jemand eine weitere Adresse gekritzelt, die
Francesca aber nicht genau entziffern konnte. Es war entweder 973 oder 978
Fifth Avenue.
Francesca starrte die Visitenkarte an, als könne sie ihr verraten,
warum sie sich in der Geldbörse des Toten befunden hatte. Offenbar war Paul
Randall Calder Hart mindestens ein Mal in seinem Leben begegnet.
Ob sie wohl geschäftlich miteinander zu tun gehabt hatten? Oder
waren sie gar Freunde gewesen?
Francesca hörte, wie die Haustür geöffnet und dann zugeknallt
wurde. Dann eilten offenbar mehrere Personen mit großen Schritten den Flur
entlang.
Ohne zu zögern, steckte sie Calder Harts
Visitenkarte in das Mieder unter ihrer Kostümjacke und beförderte Paul Randalls
Geldbörse rasch zurück in dessen Hosentasche. Sie konnte nur
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