Brenda Joyce
jemand ein, der ihn womöglich gern tot gesehen hätte?«
»Nur seine Frau«, erwiderte sie mürrisch.
»Die Frage war ernst gemeint«, gab Francesca zurück. »Ihre Antwort
auch?«
Georgette de Labouche verzog das Gesicht.
»Paul hatte keine Feinde. Er war nicht der Typ dafür, Miss Cahill. Er war
früher Geschäftsführer einer Textilfirma und hat sich vor fünf Jahren aus dem
Geschäftsleben zurückgezogen. Kurz danach haben wir uns kennen gelernt. Er war
ein guter Mann. Sein Leben drehte sich um seine Kinder, seine Frau, seinen
Club, das Golfspielen – und um mich.«
Francesca nickte nachdenklich. Dann seufzte
sie. »Nun, ich werde später möglicherweise noch mehr Fragen an Sie haben, Miss
de Labouche, aber für den Moment soll es genug sein. Jetzt muss ich die Polizei
verständigen. Haben Sie ein Telefon?«
Georgette blickte sie verzweifelt an. »Die Polizei wird glauben,
dass ich es getan habe. Ein solcher Mord wird doch immer der Mätresse in die
Schuhe geschoben.«
»Ich glaube nicht, dass man Sie dafür verantwortlich machen wird«,
erwiderte Francesca. »Wir müssen die Polizei verständigen. Es geht kein Weg
daran vorbei.«
»Na schön«, sagte Georgette schließlich. »Ich habe kein Telefon.
Während Sie unterwegs sind, werde ich nach oben gehen und versuchen, mich ein
wenig zu beruhigen. Möglicherweise werde ich mich auch für einen Moment
hinlegen.«
»Das halte ich für eine gute Idee«, erwiderte Francesca. Sie zögerte.
Bragg wohnte ganz in der Nähe. Sollte sie auf der Straße nach einem
Streifenpolizisten suchen oder lieber gleich zu Bragg laufen? Irgendwann würde
er ohnehin von dem Mord erfahren.
Einerseits wäre es bestimmt besser, sofort zu
Bragg gehen, denn sonst müsste sie sich erst mit den Fragen eines Streifenpolizisten
herumschlagen, was die ganze Angelegenheit nur unnötig verzögern würde. Aber
andererseits hatte Bragg ihr erst wenige Stunden zuvor eine Abfuhr erteilt, und
die Aussicht darauf, erneut einen Fall gemeinsam mit ihm aufzuklären, sollte
ihr eigentlich nicht reizvoll erscheinen.
»Ich werde Sie zur Tür begleiten«, sagte Georgette plötzlich und
erhob sich.
Der Tonfall, in dem sie es sagte, erweckte
Francescas Misstrauen. Immerhin hatte Georgette mindestens drei Mal gesagt,
dass sie die Leiche beiseite schaffen wollte. Sicher wäre es besser, wenn
Francesca im Haus bliebe und den Toten bewachte, während Joel loslief, um Hilfe
zu holen. Andererseits war es nicht sehr wahrscheinlich, dass es der Frau in
der halben Stunde, die bis zum Eintreffen des Commissioners vergehen mochte,
gelingen würde, die Leiche wegzuschaffen und zu verstecken.
»Ich werde Joel zum Haus des Commissioners schicken. Er wohnt
gleich um die Ecke«, verkündete Francesca und musterte Georgette aufmerksam.
»Er ist ein guter Freund von mir«, fügte sie hinzu.
Georgette erbleichte und stürzte, ohne ein Wort zu verlieren und
mit einem noch unglücklicheren Gesichtsausdruck als zuvor, aus dem Zimmer.
Sogleich kam Joel in den Salon gerannt. Offenbar hatte er die
ganze Zeit über sein Ohr an die Tür gepresst und gelauscht. »Du heiliger
Strohsack!«, rief er mit weit aufgerissenen Augen. »Der Kerl ist ja mausetot!
Ihr erstes Verbrechen, Miss Cahill, und direkt 'ne Leiche!« Er grinste sie an.
»Und ein richtiger feiner Pinkel noch dazu, wie's aussieht.«
»Ja, es scheint sich um einen Gentleman zu handeln«, erwiderte
Francesca streng. »Joel, wenn du mein Gehilfe sein möchtest, musst du dir das
Lauschen abgewöhnen.«
»Lauschen?
Wie kommen Sie denn da drauf?«
»Du hast hinter der Tür gestanden und eine private Unterhaltung
zwischen Miss de Labouche und mir belauscht«, sagte sie und trat auf ihn zu.
»Ich hab bloß auf Sie aufgepasst, Miss«, erwiderte er hitzig. »Das
gehört mit zu meiner Arbeit.«
Sie blickte in seine beinahe schwarzen Augen und schmolz dahin.
»Hast du das wirklich?«
Er nickte. »Haben Sie mal 'nen Blick in seine Geldbörse geworfen?«
Sie erstarrte. »Wir werden doch nicht die Geldbörse eines Toten
stehlen!«
»Warum denn nich? Er ist doch hinüber. Er kann den Zaster eh nich
mehr ausgeben!«
»Zaster?« Wenn sie sich mit Joel unterhielt, kam es Francesca
manchmal so vor, als spreche er eine fremde Sprache.
»Er ist
tot. Er hat nix mehr von seinem Geld.«
»Noch einmal: Wir werden keinen Toten
bestehlen!«, rief Francesca verärgert. »Jetzt hör einmal genau zu, Joel. Morgen
werden wir uns zusammensetzen und einige Regeln aufstellen – Regeln,
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