Brenda Joyce
anzustarren und dann wieder zu verschwinden. Francesca glaubte, dass der
Mann, der die Wohnung betreten hatte, während sie sich in der Küche versteckt
hielt, nicht Randalls Mörder gewesen war, sondern jemand anderes,
wahrscheinlich jemand, der Randall gekannt hatte.
Francescas Laune näherte sich einem neuen
Tiefpunkt. Ihre Stimmung war schlechter als noch eine Stunde zuvor, als sie das
Haus verlassen hatte. Es kam ihr so vor, als hätte sie einen Tiefschlag nach
dem anderen einstecken müssen. Erst erklärte ihr Vater, dass Bragg nichts für
sie war – was ihr nach wie vor zu schaffen machte, denn Francesca war sich
sicher, dass Andrew irgendetwas vor ihr verheimlichte, und sie beabsichtigte
herauszubekommen, was es war –, dann die Sache mit Neil. Es ließ Francesca
immer noch keine Ruhe, dass sie Connie von der Affäre erzählt hatte. Aber was
hätte sie denn tun sollen? Doch damit hatte sie ihrer Schwester natürlich nun
großen Kummer bereitet. Und schließlich Evan, der sich mit dieser
Schauspielerin traf, die seine Geliebte war. Kurland dagegen war nichts weiter
als eine lästige Plage – mit ihm würde Francesca fertig werden.
Ihre Gedanken kehrten zu Hart zurück.
Eigentlich kannte sie den Mann gar nicht, und daher sollte es ihr eigentlich
egal sein, ob er ein Verdächtiger in einem Mordfall war. Aber das war es nicht.
Hart war Braggs Bruder, und da ihr Bragg nicht gleichgültig war, machte sie das
gewissermaßen zu Harts Verbündeter – auch wenn die Brüder einander feindlich
gesinnt waren. Worum auch immer es dabei gehen mochte, die beiden
verhielten sich einfach kindisch, und Francesca nahm sich vor, sie gelegentlich
miteinander auszusöhnen.
Welch ein guter Einfall! Ihre Laune besserte sich schlagartig, und
sie lächelte. Vielleicht würde es ihr ja sogar gelingen, dafür zu sorgen, dass
die beiden Freunde wurden!
In diesem Moment hielt die Kutsche. »Wir sind
da«, sagte Francesca zu Joel und blickte die Straße entlang. In den Unter- und
Erdgeschossen der Häuser waren Ladenlokale untergebracht. In dem Gebäude, vor
dem sie angehalten hatten, befand sich eine Schusterei, links davon ein
kleiner Lebensmittelladen und rechts ein Schlosser. An der Straßenecke lag
eine offenbar gut besuchte Schenke, aus deren geöffneten Türen lautes Gelächter
und Geschrei drangen. Direkt davor standen fünf wenig Vertrauen erweckende
Kerle neben einer Laterne und tranken Bier. Ein Polizist hatte sich zu ihnen
gesellt und trank mit den Schurken. Welch ein peinlicher Anblick, wo doch der
Polizist in Uniform war!
»Dann lass uns einmal sehen, ob wir
herausfinden können, wo die Schwestern Jones wohnen.« Francesca fühlte sich
unbehaglich angesichts der Szene an der Straßenecke. »Ist der Polizist da
etwa betrunken?«, fragte sie fassungslos. »Es ist doch erst fünf Uhr am
Nachmittag!«
»Sternhagelvoll, würde ich sagen. Keine Sorge, wir finden diese
Schwestern schon, wenn Sie ein paar Dollar bei sich haben.« Joel sprang auf die
gefrorene Straße hinunter, wobei er beinahe in einem Haufen Mist und anderem
Abfall gelandet wäre.
»Das habe ich«, erwiderte Francesca und stieg ebenfalls vorsichtig
aus der Kutsche. Die Männer an der Ecke, die sich zuvor lebhaft unterhalten
hatten, verstummten abrupt. Offenbar hatten sie Francesca entdeckt. Sie
bereitete sich innerlich auf anzügliche Bemerkungen vor, und als tatsächlich
einer der Männer prompt einen lauten Pfiff ausstieß, eilte sie die Treppe zur
Schusterei hinunter und flüchtete sich in den Laden.
Ein schmächtiger Mann mit einem Bart
arbeitete auf einer hölzernen Werkbank an einem Paar Ledersohlen. An der
Hinterseite des Ladens stand ein Regal, das mit Schuhen gefüllt war; einige
davon schienen bereits repariert zu sein, andere noch nicht. Durch eine Tür
hinter der Werkbank konnte Francesca einen Blick auf ein kleines Zimmer
erhaschen. Sie sah eine dünne Frau mit einem rundlichen Gesicht am Herd stehen.
Neben ihr lag ein Baby in einem Korb.
Francesca wusste, dass der Schuster mit seiner
Familie und möglicherweise weiteren Familien unter schrecklichen Bedingungen
hinter seinem Laden hauste, Bedingungen, die Francesca und andere Mitstreiter
in der Stadt zu verbessern gedachten. Aber jetzt war nicht die Zeit, um über
die fälligen Reformen nachzudenken. Francesca setzte ein Lächeln auf, als der
Schuster die Ledersohlen beiseite legte und sie neugierig musterte.
»Guten Tag. Ich bin auf der Suche nach zwei
Damen, Daisy und Rose Jones.
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