Brenda Joyce
sie
herum zu zwitschern begonnen hätten; es schien einfach der richtige Tag dafür
zu sein – wenn man einmal davon absah, dass sie sich mitten im tiefsten Winter
befanden.
Er bog auf die Madison Avenue ab, wo sie nur langsam vorankamen.
»In meiner Gegenwart war Mary äußerst schüchtern«, sinnierte er. »Sie kam mir
wie ein graues Mäuschen vor. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie Angst vor
Männern hat – abgesehen natürlich von ihrem verstorbenen Vater.«
»Sie hat Randall sehr geliebt, so viel ist
klar«, ergänzte Francesca. »Bei mir war sie ganz und gar nicht schüchtern,
Bragg. Sie war sogar sehr redselig – und sehr wütend. Sie verachtet Hart.«
»Das muss wohl in der Familie liegen.« Nach einer Weile fügte er
hinzu: »Möglicherweise verachtet sie alle Männer.«
Francesca zögerte einen Moment. Dann sagte sie: »Es ist nicht
meine Absicht, Calder zu verteidigen, aber ... ich glaube nicht so recht, dass
er seinen Vater gehasst hat, und ich vermute, dass seine herzlose Reaktion auf
die Nachricht von seiner Ermordung nur eine Tarnung gewesen ist, unter der
kompliziertere Gefühle verborgen liegen.«
Bragg starrte sie an. »Jetzt nennen Sie ihn also schon beim Vornamen!
«
Sie errötete. »Ich bitte Sie! Das klingt ja beinahe, als wären Sie
eifersüchtig, Bragg.«
»Eifersüchtig? Haben Sie den Verstand
verloren, Francesca? Ich bin nicht eifersüchtig auf meinen Bruder. Nicht im
Mindesten.«
»Nun, dann ist es ja gut«, sagte sie, obwohl sie an seinen Worten
zweifelte. Dann wandte sie den Kopf zur Seite und blickte aus dem Fenster. »Sie
haben auch keinen Grund, eifersüchtig auf ihn zu sein«, fügte sie hinzu.
Er schwieg.
Sie drehte den Kopf wieder in seine Richtung,
und sie wechselten einen intensiven Blick, bis sich Francesca atemlos wieder
abwandte. Sie wäre ihm so gern näher gekommen. Vielleicht sollte sie versuchen
herauszufinden, was ihn davon abhielt. Bei dem Gedanken daran wurde sie ein
wenig nervös. Sie hatte Angst vor dem, was sie herausfinden könnte, wenn sie es
wagen würde, in Braggs Vergangenheit herumzuschnüffeln. Außerdem wäre es nicht
richtig, so etwas zu tun. Wenn er ihr etwas mitzuteilen hatte, würde er es ihr
persönlich sagen, davon war sie überzeugt.
Wenn die Zeit gekommen war, würde er ihr gewiss erzählen, was er
jetzt noch für sich behielt, und so lange würden sie eben Freunde bleiben.
»Was beschäftigt Sie eigentlich, Francesca?«,
fragte er plötzlich leise.
Sie zuckte erschrocken zusammen.
»Sie kamen mir heute so besorgt vor. Was ist los? Kann ich Ihnen
helfen?«
Francesca zögerte zunächst, platzte dann aber heraus: »Ach, Bragg!
Es geht um Familienangelegenheiten.«
»Oh! Nun, wenn Sie eine Schulter zum Anlehnen
benötigen, bin ich gern für Sie da«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Auch
wenn ich weiß, wie sehr Sie weinerliche Frauen verachten.«
Sie befanden sich mittlerweile auf der
Sixty-first Street. Von der Stelle aus, wo sie in dem stockenden Verkehr
vorankrochen, konnte Francesca das Haus der Montroses sehen. Sie stellte sich
vor, wie es sein würde, an Braggs Schulter zu weinen, und seufzte, da sie
wusste, dass sie sich niemals derart geziert würde aufführen können. »Ich
glaube, Evan hat immer noch eine Mätresse.«
»Er ist
nicht verheiratet«, gab Bragg zu bedenken.
»Aber er ist verlobt! Er sollte diese Affäre
beenden!«, rief sie empört.
»Das mag Ihre Ansicht sein«, erwiderte
Bragg, »aber ich möchte bezweifeln, dass er sich genötigt sieht, sich Miss
Channing gegenüber loyal zu verhalten, bevor er sein Ehegelübde abgelegt hat.«
»Aber ... sind Sie etwa der gleichen Ansicht?«, fragte sie fassungslos.
Seine Worte hatten so ganz und gar nicht nach dem Mann geklungen, den sie zu
kennen glaubte.
»Nein, ich teile diese Ansicht nicht. Aber
viele Männer denken so.«
Francesca atmete erleichtert auf. Sie musste
Bragg gar nicht erst besser kennen lernen, um zu wissen, dass er der loyalste
und treueste aller Ehemänner wäre.
»Ist das
Ihre einzige Sorge?«
»Leider nicht.« Sie blickte zur Seite, aus
Angst, dass er erraten könnte, dass er ganz oben auf ihrer Kummerliste stand.
Dann wandte sie sich ihm abrupt wieder zu und sagte: »Bragg? Ich musste Connie
von Montrose erzählen.«
Sein Kopf
schnellte zu ihr herum. »Wie bitte?«
»Bragg,
der Gig!«, rief sie.
Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder der
Straße zu und trat rasch auf die Bremse. Der Gig war hinter einer anderen Kutsche
direkt vor
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