Brenda Joyce
mir so Leid«, sagte
sie.
Mary setzte sich neben ihre Mutter und brach
nun ebenfalls in Tränen aus. Die Schluchzer schienen tief aus ihrem Inneren zu
kommen und verwandelten sich bald in ein fürchterliches Stöhnen. Francesca, die
sich vorstellen konnte, wie groß ihr eigener Schmerz eines Tages sein würde,
wenn die Stunde ihres Vaters gekommen war, hatte großes Mitleid mit der jungen
Frau. Sie wusste, dass es Zeit war, die beiden Trauernden allein zu lassen.
»Vielleicht könnten wir das Gespräch ein
anderes Mal beenden?«, sagte Henrietta und erhob sich. »Wie Sie sehen, ist
Mary untröstlich. Sie war Pauls Liebling, sein kleines Mädchen. Wir haben ihn
alle sehr geliebt, aber sie hat ihn vergöttert.«
Francesca nickte. »Mary?«, flüsterte sie. »Ich verstehe Sie sehr
gut, ich liebe meinen Vater auch über alles.«
Mary hörte für einen Moment auf zu schluchzen
und blickte mit tränenüberströmtem Gesicht auf. »Ich werde niemals wieder
dieselbe sein«, flüsterte sie verzweifelt.
»Ja, ich weiß.«
Mary bedeckte das Gesicht mit ihren Händen und begann erneut zu
weinen.
Henrietta trat hinter dem Tisch hervor, der vor dem Sofa stand.
Sie wünschte ganz offensichtlich, dass Francesca nun ging und sie ihrer Trauer
überließ.
»Wie alt ist Mary, Mrs Randall?«, fragte
Francesca.
»Sie ist achtzehn«, erwiderte Henrietta und führte Francesca zur
Tür.
Francesca wusste, dass Hart sechsundzwanzig war, denn er war zwei
Jahre jünger als Bragg. »Sie haben auch noch einen Sohn, nicht wahr?«, fragte
sie.
»Ja. Bill ist gestern Nachmittag zu Hause
eingetroffen. Er besucht die Universität in Philadelphia«, sagte sie. Dann
fügte sie stolz hinzu: »Er wird diesen Sommer seinen Abschluss machen.«
Francesca lächelte. Also war Bill Randall
älter als Mary, er musste ungefähr einundzwanzig sein. Demnach lagen fünf Jahre
zwischen Randalls Affäre mit Harts Mutter und der Geburt seines ersten,
ehelichen Kindes. Francesca fragte sich, wann Henrietta wohl erfahren haben
mochte, dass Randall einen unehelichen Sohn hatte. Und ob sie wohl von
Georgette de Labouche gewusst hatte? Da es in sämtlichen Tageszeitungen stand,
durfte man wohl davon ausgehen, dass sie die Wahrheit inzwischen kannte.
»Ich würde mich gern noch mit Ihrem Sohn unterhalten, wenn Sie
nichts dagegen haben«, sagte Francesca.
»Er schläft noch. Kommen Sie doch heute Nachmittag wieder vorbei.
Gegen vier«, erwiderte Henrietta.
»Vielen Dank.« Francesca schüttelte ihre Hand
und verließ den Salon. Draußen im Flur tauschte sie einen Blick mit Joel.
Während sie auf die Tür zugingen, bedeutete Francesca Joel mit einem
Kopfschütteln, dass er noch nichts sagen sollte, solange sie noch im Haus
waren.
»Miss Cahill?«
Beim Klang von Marys schriller Stimme drehte Francesca sich um.
Das dünne, recht schlaksig wirkende Mädchen kam auf sie zugeeilt.
»Ich wollte vor meiner Mutter nicht darüber reden«, sagte sie grimmig. Sie
starrte Joel neugierig an. »Wer ist das eigentlich?«
»Das ist mein Gehilfe. Er erledigt Botengänge für mich«, erläuterte
Francesca. »Worum geht es denn? Was wollten Sie mir sagen?«
»Ich weiß, dass Hart meinen Vater umgebracht hat – und ich weiß
auch, warum!«, rief sie.
»Wirklich?«, fragte Francesca überrascht.
»Ja, ich kenne die Wahrheit«, sagte Mary mit drängender Stimme.
»Hart hat meinen Vater erpresst, Miss Cahill. Ich habe zufällig mit angehört,
wie sich die beiden am Mordtag vor dem Haus unterhalten haben. Sie haben sich
über Geld gestritten. Geld, das Hart von meinem Vater gefordert hat, das mein
Vater aber nicht zahlen wollte!«
Francesca starrte sie an. Ihre Gedanken
überschlugen sich. »Aber womit hätte Hart Ihren Vater erpressen können?«
Mary gab einen abschätzigen Laut von sich.
»Wer weiß. Spielt das denn eine Rolle?« Sie starrte Francesca an. »Er ist durch
und durch böse, Miss Cahill, der reine Teufel. Er braucht keinen Grund, um
einen Menschen zu quälen, er tut es aus purem Vergnügen.«
Francesca blickte Mary in die Augen. Als sie
den glühenden Hass darin erkannte, wich sie unwillkürlich zurück. Doch dann
überwand sie sich, die knochige Schulter des Mädchens zu tätscheln. »Ich danke
Ihnen, Mary. Vielen, vielen Dank.«
»Danken Sie mir nicht.« Mary brach erneut in
Tränen aus, und die Schluchzer schüttelten ihren mageren Körper. »Ich will
nichts weiter als Gerechtigkeit, Miss Cahill. Sorgen Sie dafür, dass der
Gerechtigkeit Genüge getan wird«,
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