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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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wuchtig, als gälte es, einen Stein zu spalten.
    Der Schrei erreicht auch das Ohr des jungen Königs. Jemand ist geschlagen worden, geht es ihm durch den Kopf, dann ist er mit seinen Gedanken bereits wieder woanders. Denn Herrschen ist wie Fliegen, und je mächtiger einer ist, desto höher fliegt er. Die Welt wird größer für ihn und zugleich kleiner, er sieht mehr als vorher und zugleich weniger. Aus der Nähe betrachtet, bietet der Körper eines Geräderten einen Anblick, der einem das Blut gefrieren läßt; schaut man indessen von oben auf ihn herab, hat es den Anschein, als schlafe ein Betrunkener seinen Rausch aus. Ein brennendes Dorf ist eine Hölle, für den Fliegenden hingegen nicht schrecklicher als ein Lagerfeuer. Und weil es sich so verhält, kann er ungestört gleiten, bewundert und beneidet von denen da unten. Majestätisch nennen die Leute solche Wesen, ob es sich nun um einen Adler handelt oder um einen der Ihren.
    Freilich, später als die der Vögel wachsen die Schwingen der Macht. Zeitweilig bestand deshalb für den jungen König die Gefahr, daß gewisse Erinnerungen seinen Flug bremsten. Er hat diese Gefahr jedoch längst gebannt. Zuviel hat er inzwischen gesehen, als daß ihn die Bestialitäten, deren Menschen fähig sind, noch erschüttern könnten. Großmut, Güte, Barmherzigkeit? Vom Schild der Macht entblößt, taugen sie gar nichts, sondern rufen nur Verachtung hervor. Allein derjenige darf solche Tugenden pflegen, der auch die Mittel besitzt, Schrecken zu verbreiten. Das Leben zwingt einen, Gewalt auszuüben oder sie zu ertragen, ein Drittes gibt es nicht.
    Und wie kann es anders sein – ist doch diese Welt eine Welt des Mangels. Die Furcht vor ihm beherrscht alle, und sie macht die Menschen habgierig, mißtrauisch und reizbar. Was liegt deshalb näher, als sich am jeweils Schwächeren schadlos zu halten, um sich dadurch wenigstens vorübergehend von solchen Ängsten zu befreien?
    Doch neben jener Art von Gewalt, die Unordnung zur Folge hat, gibt es glücklicherweise noch eine andere. Sie ist allein dem König verliehen. Und weil nur er zu verhindern vermag, daß sich die Menschen in ihrem blinden Eigennutz gegenseitig zerfleischen, hat er die Pflicht, sie so zu verwenden, daß seine Macht ständig wächst. Es ist dies der Lieblingsgedanke des jungen Königs: Kein Abend, an dem er sich nicht mit dem Bewußtsein niederlegt, ein Werkzeug der Vorsehung zu sein, kein Morgen, an dem er nicht mit dem Wunsch erwacht, sich darin noch zu vervollkommnen.
    Jetzt ist es Nachmittag, und soeben hat er eine Entscheidung gefällt, die allen zeigen wird, wie ernst er es mit seinen Vorsätzen meint. Ein Bote des fränkischen Herzogs Eberhard überbrachte vorgestern die Nachricht, daß sein Herr die Burg eines gewissen Bruning zerstört habe. Dieser, ein sächsischer Vasall des Herzogs, habe Eberhard die Gefolgschaft aufgekündigt und seinen Schritt mit der Bemerkung begründet, daß er als Sachse nur noch dem König dienen wolle – worauf sich der Franke gezwungen gesehen habe, den Übermütigen zu bestrafen. Der König möge, schloß die Botschaft, doch künftig besser darauf achten, daß die Angehörigen seines Stammes ihren Verpflichtungen genauso nachkämen, wie er, Eberhard, die seinen gegenüber ihm erfülle.
    Beides, der Sachverhalt wie die Form, in der er mitgeteilt wurde, stellten eine ziemliche Dreistigkeit dar. Der Groll des jungen Königs steigerte sich noch, als er tags darauf erfuhr, daß die Besatzung der Burg durch die Belagerer getötet worden war. Der Treuebruch besagten Brunings sei verwerflich, rechtfertige aber keineswegs diesen ungeheuerlichen Anschlag auf den inneren Frieden, heißt es darum in dem Schreiben, das er gerade diktiert hat. Gewiß sei der Herzog mittlerweile längst selbst zu dieser Einsicht gelangt, und damit seine Reue öffentlich werde, lege er, Otto, ihm nahe, den Bruning mit einer Anzahl von Pferden im Wert von hundert Pfund Silber zu entschädigen; des weiteren, den an der Untat beteiligten Vasallen zu befehlen, ihren Frevel durch die Schmach des Hundetragens nach der Pfalz in Magdeburg zu sühnen.
    Der Brief ist geschrieben, der Kanzlist entlassen worden. Der junge König hat auf dessen Stuhl Platz genommen, er lehnt sich zurück und genießt es, wie die Spannung, die ihn während des Diktates befiel, allmählich weicht. Er ist zufrieden, mehr noch: er empfindet Genugtuung. Unter dem Vater, überlegt er, wäre ein Vorfall wie dieser wahrscheinlich mit

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