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Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
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haben wir in diesem Gebiet gesiegt.«
    Mit einem kleinen Lachen setzte er hinzu: »Ob wir uns danach etwas Ruhe gönnen oder sofort den Obodriten zuwenden – die Antwort hierauf muß ich dir im Augenblick leider schuldig bleiben.«
    Es entstand eine Pause, und Gero schickte sich an, sie mit einem Wort der Bewunderung zu füllen. Aber noch bevor er seine Gedanken gesammelt hatte, machte Otto eine abwehrende Handbewegung.
    »Dies alles«, sagte er, »ist jedoch nur dann etwas wert, wenn wir es schaffen, auch die Seelen dieser Menschen zu erobern und sie unter das sanfte Joch Christi zu beugen. Sobald es die Lage erlaubt, werden wir darum in ihrem Land Kirchen bauen und ihnen Priester schicken. Denn nicht in Sklaven will ich sie verwandeln, sondern in Untertanen, so, wie es die Franken einst mit uns gemacht haben. Daran freilich«, schloß er, »hatte mein Vater niemals gedacht.«
    »Ein großes Werk«, beeilte sich Gero nun zu versichern. »Es wird deinen Namen unsterblich machen.«
    Falls es gelingt, ergänzte er in Gedanken. Ihn beschlich eine eigentümliche Erregung. Mit wenigen Sätzen gewann dieser junge Mann einen Krieg, der vermutlich Jahrzehnte dauern würde, und baute bereits Kirchen auf einem Boden, den selbst die eifrigsten Missionare nur widerstrebend betraten. Ob er sich manchmal an jenen Wintertag vor fast neun Jahren erinnerte, als er, damals noch ein wirrer Jüngling, mit Graf Siegfried um das Leben eines Gefangenen gefeilscht hatte? Wohl kaum, sonst würde er jetzt nicht so mit mir reden. Ich habe ihn schwach gesehen, und das pflegen sie einem selten zu verzeihen …
    »Dieser Geruch«, hörte er Otto auf einmal sagen. Die ausgestreckte Hand des Königs wies zum Fenster. »Dieser Geruch nach frischem Holz. Weißt du noch?«
    »Wie könnte ich ihn jemals vergessen«, erwiderte Gero, vor Überraschung wie gelähmt.
    Otto nickte lebhaft. »Ich habe es ebenfalls nicht vergessen. Nichts habe ich vergessen«, sagte er feierlich. »Dabei ist mir, als ob es in einem anderen Leben gewesen wäre.«
    Er versank in Schweigen.
    »Ein großes Werk«, sprach er dann weiter, »wahrhaftig. Sofern es gelingt. Doch das ist beinahe unmöglich. So viele Bewaffnete über Jahre hinweg in ein fremdes Land zu schicken, das heißt nichts anderes, als ein Heer von Räubern loszulassen. Was begreifen sie von meinen Plänen? Und auch wenn sie begriffen – was können die ihnen schon bedeuten! Von Habsucht betört, werden sie ihre Macht mißbrauchen und bald alle Unterworfenen gegen sich haben. Und da sich mit Gewalt allein auf die Dauer nicht herrschen läßt, wird man sie eines Tages verjagen. Dann werden Scharen Enttäuschter zurückkehren, die nicht verstehen können, daß sie sich selbst um den Lohn ihrer Anstrengungen betrogen haben, und ihre Enttäuschung wird sich gegen mich richten. Ja, so wird es wahrscheinlich kommen.«
    »Freilich«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort, »wenn sich jemand fände, der imstande wäre, ihre Unvernunft zu steuern, könnte es auch anders kommen. Ich räume ein, daß er um diese Arbeit nicht zu beneiden ist, denn er würde nicht nur die Barbaren zum Feind haben, sondern nach einiger Zeit auch seine eigenen Leute. Um sich zu behaupten, müßte er über Fähigkeiten verfügen, die bei einem Menschen nur sehr selten gemeinsam anzutreffen sind. Dieser Mann müßte grausam sein wie ein Teufel und zugleich gerecht wie ein guter Richter, aufrichtig wie ein Kind und listig wie ein arabischer Händler, zäh wie ein Bauer auf Rodeland und demütig wie ein büßender Mönch, je nachdem, was der Augenblick erfordert. Voller Selbstvertrauen müßte er sein, doch ohne Übermut, er sollte den Tod nicht fürchten, ihn aber auch nicht verachten, weil das leichtsinnig macht. Er dürfte also nicht das sein, was man gemeinhin einen Helden nennt, denn Helden gieren nach raschem Ruhm, und der ist hier nicht zu gewinnen. Dieser Mann, stelle ich mir vor, sehnt sich danach, sein Leben einer großen Aufgabe zu weihen, und er ist entschlossen, nicht eher von ihr zu lassen, als bis er sie erfüllt hat oder stirbt. Ein solcher Mann könnte es vielleicht schaffen. Oder was meinst du?«
    Die Axtschläge waren verstummt. Auf dem Hof hatte offenbar die Mittagspause begonnen. Graf Gero indessen nahm die Stille kaum wahr. Ein Wunder, ein Wunder! tönte es in ihm, wie die immer lauter werdenden Klänge einer riesigen Glocke.
    »Gewiß«, sagte er dumpf, »mit ein wenig Glück.«
    »Mit ein wenig Glück«, wiederholte Otto.

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