Brennaburg
wir zwei uns schon früher begegnet. Das heißt, ich sah dich einige Male auf den Hoftagen des verstorbenen Königs. An mich wirst du dich vermutlich nicht erinnern.«
»Oh, ich erinnere mich sehr gut, Herr Legat«, antwortete Ratibor. »Ich habe dich sofort erkannt.«
Sowie das heraus war, bereute er es, denn er bemerkte, daß Gero die Stirn runzelte und ärgerlich den Mund verzog; offenbar erriet er, wodurch er sich dem anderen eingeprägt hatte. Diese seltsame Anwandlung dauerte jedoch nur einen Augenblick, dann hatte sich der Graf wieder in der Gewalt. Er steckte die Hände hinter den Gürtel, räusperte sich und sagte: »Es wird behauptet, du seist Christ. Trifft das zu?«
Jetzt war es an Ratibor, sich zu ärgern. Noch hatte sich der Graf nicht danach erkundigt, wie die Reise verlaufen war, da behelligte er ihn schon mit einer Frage, die man nur unhöflich nennen konnte. Gerade das war es, was ihn an ihnen so abstieß: dieses blitzschnelle, durch keinerlei Rücksichten gehemmte Greifen nach dem, was ihre Gier erregte, einerlei, worum es sich dabei handelte … »Das ist nicht wahr«, sagte er kühl.
»Nein? Demnach hat man mich wohl falsch unterrichtet«, entgegnete Gero, schien jedoch ob dieser Tatsache keineswegs enttäuscht zu sein. »Wenn du erlaubst, werde ich nun von deinem Angebot Gebrauch machen«, fuhr er fort. »Habe also die Güte und stelle mich Herzog Pribislaw vor.«
Ratibor wandte sich um und nickte Pribislaw zu. Während er beobachtete, wie dieser absaß und steifbeinig auf sie zukam, überlegte er, was zu tun sei, falls sich der verstörte Alte, durch das frostige Gebaren des Legaten gereizt, zu Unbeherrschtheiten hinreißen ließ. Seine Befürchtungen wurden aber bald zerstreut. Überrascht gewahrte er, wie ein gänzlich verwandelter Graf Gero den Fürsten mit einer Flut von Liebenswürdigkeiten überschüttete und darin all die kleinen Belanglosigkeiten und Umständlichkeiten einflocht, die der Slawe so schätzte und an welchen die Unterhaltung der nüchternen Sachsen meist kargte. Dies wirkte völlig ungezwungen, so, als sei es Gero überhaupt nicht anders gewöhnt. Pribislaw, der statt eines Menschen offenbar ein Ungeheuer erwartet hatte, wurde lebhaft, begann zu gestikulieren, und schließlich lächelte er sogar.
Ratibor indes befiel eine neue Sorge. Je länger sich das Gespräch hinzog, desto häufiger wurden die Anzeichen dafür, daß der Graf seiner Hilfe eigentlich gar nicht bedurfte. Das ungeduldige Blinzeln, mit dem er den Übersetzungen lauschte, und die Schnelligkeit, mit der er auf die Bemerkungen des Fürsten einging, verrieten, daß er diesen auch ohne Dolmetscher recht gut verstand.
Um sich Gewißheit zu verschaffen, gab Ratibor einmal einen Satz des Alten absichtlich falsch wieder. Gero stutzte. »Hast du nicht eben gefehlt, mein Freund?« sagte er. »Ja, ich bin des Slawischen ein wenig kundig, sprechen kann ich es zu meinem Leidwesen freilich nicht.«
»Verzeih, Herr Legat«, sagte Ratibor. Sein Triumph über die geglückte List war jedoch nur von kurzer Dauer. Warum deckte der Graf sein Geheimnis so rasch auf? Dazu bestand kein Anlaß. Daß er seine Kenntnis der slawischen Sprache bisher verschwiegen hatte, konnte ihm niemand zum Vorwurf machen; denn wer schlug (zumal vor wichtigen Verhandlungen) schon freiwillig eine Möglichkeit aus, Dinge zu erfahren, die nicht für seine Ohren gesprochen worden waren? Auch Mangel an Geistesgegenwart schied bei einem Mann wie ihm zweifellos aus. Nein, wenn er ohne Not auf seinen Vorteil verzichtete, mußte dies bedeuten, daß er um Vertrauen warb. Doch mit welchem Ziel? Was mochte ihm derart wertvoll sein, daß er dafür ungebeten ein solches Zugeständnis machte?
Ratibor fühlte, wie Bitterkeit in ihm hochstieg. Was nützt dir deine ganze Klugheit, dachte er, jetzt, wo es sowieso zu spät ist? Steckst bereits in der Falle und rätselst, ob sie zuschnappen wird oder nicht.
»Nun noch ein Wort zu euch, ihr Herren«, vernahm er die Stimme des Grafen. »Gewiß ist euch bekannt, daß unser König in letzter Zeit von aufrührerischen Menschen bedrängt wurde, weswegen es ihm bislang verwehrt war, den Beziehungen zu unseren Nachbarn die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Jetzt, da er die Empörer gebändigt hat, ist es sein aufrichtiges Bestreben, dies nachzuholen. Feinden wird er mit Strenge begegnen, jene indes, die ihm die Treue halten, werden bald spüren, was es heißt, sich seine Verbündeten nennen zu dürfen. Doch davon
Weitere Kostenlose Bücher