Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brennaburg

Brennaburg

Titel: Brennaburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang David
Vom Netzwerk:
war Liub, einer der Neletici, ein hagerer flachgesichtiger Mann, dessen Sohn mit der Tochter eines der Gaufürsten verheiratet war. Oberhalb der linken Schläfe hatte er eine kahle Stelle, durch die er selbst im Dunkeln kaum zu verwechseln war. Sie rührte von heißem Pech her, das man ihm bei der Belagerung einer Burg auf den Kopf gegossen hatte.
    »Weshalb glaubst du das?«
    »Ich beobachte dich schon den ganzen Abend. Guckst wie ein Fuchs in der Falle.«
    Ratibor zuckte die Schultern. »Das ist so meine Art. Überall wittere ich Verrat und Unheil. Achte nicht darauf.«
    »Und ob ich darauf achte! Bist schließlich berühmt für deine gute Nase. Warum bist du eigentlich gekommen, wenn du ihnen nicht über den Weg traust?«
    »Traut ihr ihnen denn?«
    »Keinem ist wohl in seiner Haut, ich merk's ihnen an. Deshalb versuchen sie, ihre Angst wegzuspülen.«
    »Du etwa nicht?«
    »Ich tue nur so, kippe immer die Hälfte daneben. Naß wie ein Säugling bin ich bereits.«
    Er beugte sich vor und erbrach sich röchelnd.
    »So«, sagte er aufatmend, »das war die andere Hälfte.«
    »Was willst du von mir?« fragte Ratibor.
    Liub schwieg. »Wie, meinst du, werden sie es machen?« erkundigte er sich nach einer Weile unvermittelt.
    Ratibor blickte auf Liubs im Mondlicht schimmernde Zähne.
    »Nimm an, ich wüßte es. Was würde es dir nützen?«
    »Gibt es deiner Ansicht nach keinerlei Hoffnung mehr?« fragte Liub weiter.
    »Doch, die gibt es. Noch leben wir.«
    »Noch …«, sagte Liub dumpf. »Was sind wir nur für Tröpfe!« brach es aus ihm heraus. »Wir hätten uns vorher beraten sollen, an Zeit hatte es nicht gemangelt. Aber nein, jeder befürchtete ja, daß ihn der andere übers Ohr hauen könnte. Und statt einander zu trauen, trauen wir lieber ihnen … Sie sind auch mehrere Stämme, doch gegen ihre Feinde halten sie zusammen. Wir hingegen argwöhnen sogar noch auf dem Weg zur Schlachtbank, daß der Nachbar vor uns dort sein will. Warum bloß?«
    »Oh, ein Weiser«, sagte Ratibor spöttisch. »Nun, vielleicht sind wir ihn noch nicht oft genug gegangen, diesen Weg.«
    Liub berührte ihn am Ärmel. »Wozu sinnlos vor die Hunde gehen?« stieß er hervor. »Laß uns fliehen! Jetzt, auf der Stelle!«
    »Wer?«
    »Wir beide, wer sonst.«
    »Ohne Pferde? Oder glaubst du, daß man sie nicht bewacht?«
    »Versuchen wir es. Zu zweit könnten wir es schaffen.«
    Ratibor trat einen Schritt zurück. »Nein«, sagte er nach kurzem Besinnen. »Falls sie tatsächlich vorhaben, uns hier auf dem Hof zu überwältigen – und mir schwant, daß es so ist –, dann haben sie auch dafür gesorgt, daß nicht ein einziger von uns entschlüpfen kann. Sie werden uns abfangen.«
    »Und wenn schon, dann sterben wir eben draußen! Aber wir hätten es wenigstens probiert.«
    Ratibor schüttelte den Kopf.
    »Weshalb nicht?«
    Ratibor zögerte. »Glaube mir, Bruder«, antwortete er schließlich, »seitdem der Plan zu dieser Reise besteht, denke ich unablässig an Flucht. Und so oft ich daran denke, erkenne ich auch, daß sie aussichtslos ist. Denn wenn so viele Männer, von denen man schwerlich behaupten kann, daß sie leicht hinters Licht zu führen sind, auf einmal übereinkommen, in ihr Verderben zu rennen, so doch wohl nur deswegen, weil dies ein höherer Wille so entschieden hat. Wenn er es aber bisher vermocht hat, ihrer aller Verstand zu trüben, wird er gewiß auch die Mittel haben, sein Werk zu Ende zu bringen.«
    »Von wem redest du?« fragte Liub, sich den haarlosen Fleck über der Schläfe reibend. »Etwa von den Göttern? Aber warum sollten sie uns verderben wollen?«
    »Das haben sie mir nicht verraten. Vielleicht grollen sie uns dafür, daß wir Edlen zuweilen mit ihnen gespielt und unsere Wünsche als die ihren ausgegeben haben. Du verstehst, was ich meine. Vielleicht soll unser Schicksal diejenigen, die nach uns kommen, aufrütteln.«
    Er hielt inne.
    »Vielleicht sind sie jedoch gar nicht so mächtig, wie wir annehmen, und die Christen haben recht, wenn sie sagen, daß es nur einen wirklichen Gott gibt, jenen, den sie verehren. Was stierst du mich an? Nein, ich scherze nicht … Sie sind mir schon lange gleichgültig, unsere Götter«, fuhr er in sich gekehrt fort, »denn sie ähneln allzusehr uns Menschen. Ich habe keinerlei Achtung vor ihnen, nichts an ihnen wärmt mir das Herz. Bestechlich sind sie und unzuverlässig und auch sonst ist es mit ihnen nicht weit her.«
    Liub räusperte sich. »Sag, bist du noch bei Troste?

Weitere Kostenlose Bücher