Brennende Fesseln
hübsch, erinnerst du dich? Jung und hübsch, voller Hoffnungen und guter Vorsätze.« In ihrer Stimme schwang eine Spur Wehmut mit.
Franny nickte und setzte sich wieder. Mrs. Deever starrte von neuem aus dem dunklen Fenster und dachte an die gute alte Zeit, als es ihr noch besser gegangen war. Franny griff nach ihrem Whopper. Ihr war es damals auch besser gegangen. Zu der Zeit hatten ihre Eltern noch gelebt. Es war nun
zehn Jahre her, daß sie gestorben waren, aber sie konnte sich noch lebhaft an den Tag erinnern, an dem man ihr gesagt hatte, daß ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen seien. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit, das sie bis dahin gehabt hatte, war ihr unter den Füßen weggezogen worden. Und dann wurde sie zu Nora verfrachtet. Aus heiterem Himmel wurde plötzlich alles anders: Nie wieder sollte sie spüren, daß jemand sie bedingungslos liebte, egal, was sie tat; nie wieder sollte sie sich wirklich sicher fühlen. Natürlich gab sich ihre Schwester die größte Mühe. Sie tat, was sie konnte. Aber Nora war damals selbst noch sehr jung, gerade mal so alt wie Franny jetzt. Sie hatte erst kurz zuvor ihr Studium abgeschlossen und versuchte, beruflich Fuß zu fassen. Sie war zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, um zu merken, daß Franny mehr brauchte als Kost und Logis, wenn sie diese Jahre gut überstehen sollte. Und jetzt, nachdem sie gehofft hatte, bei Michael die Sicherheit und Liebe zu finden, nach der sie so lange gesucht hatte, stellte sich heraus, daß sich ihre Beziehung überhaupt nicht so entwickelte, wie sie es erwartet hatte.
Franny nahm sich eine Handvoll Pommes.
»Ha!« rief Mrs. Deever plötzlich. Allmählich kam sie in Fahrt. Sie schnaubte verächtlich. »Hoffnungen und gute Vorsätze! Du lieber Himmel! Das alles hat Frank mir genommen. Ich hätte es besser wissen müssen. Wie konnte ich nur so dumm sein, ihn zu heiraten!«
Franny verzichtete auf einen Kommentar. Das war ein alter Refrain.
»Er ist genau wie die Kennedy-Männer. Wenn du wissen willst, wen du heiratest, sieh dir seinen Vater an. Wie der Vater, so der Sohn.« Sie zerrte an ihrem weißen Lätzchen. »Franks Vater taugte nichts, er hat seine Frau genauso betrogen wie Frank mich. Er war durch und durch ein Kennedy-Mann. Ich hätte wissen müssen, daß ich mit ihm nur Probleme
kriegen würde.« Mit verbitterter Miene warf sie das Lätzchen auf ihr Tablett. »Die Söhne beobachten ihre Väter. Sie übernehmen ihr Verhalten, selbst dann, wenn es nichts taugt. Jack und Bobby und Ted – sie sind in jeder Hinsicht wie Joe senior. Wart’s nur ab – bei John-John und den jüngeren Kennedy-Männern wird es genauso sein. Das liegt in der Familie, es wird von Generation zu Generation weitergereicht.«
Franny wußte nicht, was sie sagten sollte. Sie beschäftigte sich weiter mit ihrem Hamburger und ihren Pommes.
»Ich will gar nicht mehr über ihn reden«, erklärte Mrs. Deever. »Es ist schon deprimierend genug, daß ich hier herumliegen muß. Laß uns über etwas Schöneres sprechen.«
Franny griff nach ihrem Milkshake, und während sie ihn trank, spann sie eines ihrer Märchen über Michael, der nie ein Kennedy-Mann war und auch nie einer sein würde. Statt dessen führte er sie ins Sacramento Community Center, wo ein Symphonieorchester den ganzen Abend Beethoven spielte. Sie erwähnte auch ein neues Restaurant in Davis, das sie am Vorabend ausprobiert hatten – zu schick, hatten sie beide gefunden –, und einen Videofilm, den sie sich bei ihm angesehen hatten. Dazu hatten sie Popcorn gegessen und im Kamin ein Feuer gemacht. In ihren Geschichten war er der perfekte Freund.
5
Franny stand nackt in Michaels Badezimmer und vergrub ihre Zehen im Teppich. Alles war farblich aufeinander abgestimmt, blitzblank und ordentlich. Sämtliche Handtücher waren exakt gefaltet und gestapelt, als hätte ein Hausmädchen hier erst vor kurzem für Ordnung gesorgt. Der von einem warmen, bläulichen Licht durchflutete Raum war größer als ihre Küche und wesentlich eleganter: saphirblaue und silberne Tapeten,
eine versenkte Badewanne, zwei Frisiertische aus Onyx, ein riesiger Spiegel, der fast eine ganze Wand einnahm. Es hätte sie nicht erstaunt, ein schönes, braungebranntes Showgirl mit einem Kopfputz aus blauen Federn der Wanne entsteigen zu sehen. Statt dessen sah sie nur sich selbst.
Sie zog sich eine rote Korsage aus Satin und Spitze über den Kopf. Nachdem sie sie bis über die Schultern
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