Brennende Fesseln
wahr, der sich unauslöschlich in mein Gedächtnis eingegraben hatte. Keine noch so große Menge Farbe kann diesen Geruch aus meinem Kopf vertreiben. An dem Tag, als Franny gefunden wurde, hatte die Polizei ihre Leiche entfernt, bevor ich eintraf – aber der Gestank war noch zu riechen gewesen. Er hatte alles in der Wohnung durchdrungen: die Vorhänge, die Möbel, den Teppich. Während ich in jener Nacht auf ihrer Couch saß, spürte ich Frannys Gegenwart, die immer noch im Raum hing, genau wie der Gestank ihres Körpers. Der Geruch existierte nur in meiner Phantasie, aber in der Dunkelheit dieses Raumes kehrte er zu mir zurück und weckte in mir den Wunsch, kurz und flach zu atmen. Der Gedanke, daß ich Franny mit einem so schlimmen Geruch in Verbindung brachte, machte mich traurig. Eine Träne lief mir über die Wange. Sie hatte es nicht verdient, auf diese Weise zu sterben. Und während ich so auf ihrer Couch saß, gelobte ich ihr, daß ich, falls die Polizei versagen sollte, auf eigene Faust nach ihrem Mörder suchen würde. Irgendwie würde ich ihn schon finden.
8
Ich wohne in einem kleinen Haus an der Ecke Torrey und Rosario. Eigentlich ist es ein Doppelhaus, aber es steht auf einem Eckgrundstück, so daß es von der Straße aus wie ein Einzelhaus aussieht. Mein Vermieter, ein Mann, der im älteren Teil von Willowbank wohnt – nur ein paar Häuserblocks von M. entfernt – hat sich inzwischen aus dem Berufsleben zurückgezogen, aber früher gehörte ihm eine kleine Baufirma in Davis, und er hat dieses Doppelhaus selbst gebaut und ihm eine persönliche Note verliehen, die man bei anderen Mietshäusern nicht findet: einen vom Boden bis zur Decke reichenden Steinkamin, ein holzgetäfeltes Eßzimmer, eingebaute Eichenbücherschränke, Parkettböden in der Diele und im Eßbereich, Tapeten mit einem Muster aus Herbstblättern und Grashalmen. Sein Geschmack spiegelt sich im ganzen Doppelhaus wider. Besonders gut ist ihm der Bereich gelungen, in dem er selbst arbeiten mußte. Aber das Haus ist lang und schmal, und das Wohnzimmer bekommt nur wenig Licht ab. Selbst im Sommer, wenn die Vorhänge zurückgezogen sind, wirkt der Raum dunkel und trist. Die Möbel, die nicht ins Haus paßten, sind in der Garage gelagert, und drinnen ist jeder Zentimeter mit meinen Habseligkeiten vollgestopft. Es ist, als bedrängten mich die Wände, und manchmal fühle ich mich eingeengt. Ich habe das Gefühl, den Atem anhalten zu müssen, damit alles Platz hat. So ähnlich fühlt es sich an, wenn man sich in ein Kleid zwängt, das einem eine Nummer zu klein ist. Obwohl ich nun schon acht Monate hier wohne, habe ich immer noch Schwierigkeiten, dieses Haus als mein neues Zuhause zu bezeichnen. Es kommt mir so vor, als wäre ich nur ein Gast auf der Durchreise. Als würde ich nur die Zeit totschlagen und darauf warten, daß mein wirkliches Leben wieder einsetzt.
Der einzige Teil meines Lebens, der mir noch real erscheint, ist die Zeit, die ich mit Ian verbringe. Trotz seiner gelegentlichen Ausbrüche scheint er perfekt zu mir zu passen. In unserer Beziehung herrscht eine Vertrautheit, die angesichts der kurzen Zeit, die wir zusammen sind, recht ungewöhnlich ist. Manche Leute halten uns wahrscheinlich für langweilig, aber ich finde in unserem einfachen Leben ein Gefühl des Friedens, und das tut mir ungeheuer gut. Unsere Gewohnheiten sind vorhersehbar und höchst alltäglich, aber seit Frannys Tod habe ich das Gewöhnliche zu schätzen gelernt. Bei Ian fühle ich mich sicher und geborgen, und mehr will ich im Moment nicht.
An diesem Abend sitze ich im Wohnzimmer in einem Sessel und lese den New Yorker. Gelegentlich sehe ich zu Ian hinüber. Allein schon sein Anblick läßt mich vor Freude lächeln. Bisher war es immer so, daß Männer nur vorübergehend zu meinem Leben gehörten wie ein Auto, das man fährt, bis man beschließt, es durch ein neues Modell zu ersetzen. Ich wollte es nicht anders. Aber seit ich mit Ian zusammen bin, beginnt sich mein Vokabular – und mit ihm meine alte Vorliebe für das Kurzfristige – zu verändern. Plötzlich tauchen in meinem Kopf Worte auf, über die ich vorher nie ernsthaft nachgedacht habe: Beständigkeit, langfristig, Verantwortung, Ehe.
Er sitzt über den Couchtisch gebeugt, hat ein Messer und einen kleines Stück Holz in den Händen und schnitzt. Schnitzen ist schon seit Kindertagen sein Hobby, und seit ein paar Jahren konzentriert er sich in erster Linie auf Miniaturen. Es ist eine
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