Brennende Fesseln
Parkplatz gelaufen. Sie zerrt ihren Sohn am Arm hinter sich her.
»Haben Sie gesehen, was für ein Auto es war?« frage ich den alten Mann.
»Schwarz«, antwortet er. »Ein schwarzer Wagen. Mehr habe ich nicht gesehen.«
»Sind Sie verletzt?« fragt die Frau, von ihrem Sprint noch ganz außer Atem. Der Junge zerrt an ihrem Arm, versucht sich zu befreien. Sie packt ihn fester. »Ich war mir sicher, daß er Sie erwischen würde.«
»Was für ein Wagen war es?« frage ich sie. »Haben Sie sich das Fabrikat gemerkt? Das Nummernschild?«
Sie schüttelt den Kopf. »Es ist alles so schnell gegangen. Ein Wunder, daß er Sie nicht erwischt hat.«
Ich massiere mir den Ellbogen, mit dem ich gegen den Lastwagen geknallt bin, und ärgere mich über mich selbst, weil ich nicht schnell genug reagiert und mir das Nummernschild gemerkt habe.
»Es sind diese verdammten Teenager«, wiederholt der alte Mann, aber ich habe da so meine Zweifel. Ich sehe meinen Popcorn-Mais auf dem Asphalt liegen. Die Packung ist von den Wagenreifen plattgewalzt.
Als ich nach Hause komme, sitzt Ian immer noch im Wohnzimmer und arbeitet an seiner Schnitzerei.
»Ich nehme jetzt ein Bad«, erkläre ich, und er blickt kurz auf.
»Wolltest du nicht Popcorn machen?« fragt er.
»Ich habe es mir anders überlegt. Ich lege mich lieber in die Wanne.«
Er sagt: »In ein paar Minuten komme ich nach« und schneidet in das Holz.
Die Badewanne ist im Gästebad, gleich neben der Diele. Ich drehe das Wasser auf, stelle die Temperatur ein und lasse es laufen, während ich ins Schlafzimmer gehe. Ich steige aus meinen Sachen, schnappe mir einen Bademantel und kehre ins Bad zurück. Schnell ziehe ich die Tür hinter mir zu, damit der Dampf nicht entwischen kann. Ich lege meinen Bademantel auf die Ablagefläche neben dem Waschbecken und strecke meine große Zehe ins Wasser, um die Temperatur zu testen. Das Wasser ist so heiß, daß es fast schon weh tut – genau, wie ich es mag –, und ich muß mich zentimeterweise hineinsinken lassen. Heißes Wasser gurgelt aus dem Wasserhahn. An den gelb gefliesten Wänden rinnen Kondenswassertropfen herunter. Meine Haut prickelt und wird krebsrot. Ich brauche mehrere Minuten, allein um beide Füße in die Wanne zu bekommen. Ich stelle fest, daß sich an meinem rechten Oberschenkel und an der rechten Schulter bereits Blutergüsse bilden. Kann es sein, daß M. den Wagen gefahren hat?
Ich lasse mich langsam tiefer gleiten und sehe zu, wie das Wasser meinen Körper zudeckt. Als die Wanne fast voll ist, beuge ich mich vor und drehe den Hahn zu, lehne mich wieder zurück, schließe die Augen und denke an den schwarzen Wagen. Ich schwöre mir, in Zukunft vorsichtiger zu sein.
Nach zwanzig Minuten ist das Wasser nur noch lauwarm. Ich ziehe kurz den Stöpsel, lasse heißes Wasser nachlaufen und wirble es mit beiden Armen unter das kalte. Ich höre, wie sich der Türknauf dreht. Ian kommt herein. Er kniet sich neben die Badewanne. Mit gerunzelter Stirn fragt er: »Woher hast du denn das?« und deutet auf meinen Oberschenkel, wo die Haut gerötet und leicht geschwollen ist. »Und das?« fragte er und läßt seinen Finger zu meiner Schulter wandern.
»Ich bin auf der Treppe gestolpert«, lüge ich. »Es ist nur ein Kratzer.«
Ian drückt einen sanften Kuß auf die gerötete Haut. Dann beginnt er, mit dem Waschlappen meine Arme und Schultern abzureiben, spart aber die lädierten Hautstellen aus. Keiner von uns sagt ein Wort, aber ich sehe seinem Gesicht an, was für einen Spaß es ihm macht, meinen Körper zu waschen. Ich schließe die Augen und sitze ganz still. Zufrieden spüre ich die Zärtlichkeit seiner Berührungen. Sie fühlen sich so liebevoll an. Matt und durchgeweicht, überlasse ich mich ganz seinen Händen. Er läßt Seife und Waschlappen über meine Haut gleiten, hält inne, um meinen Nacken, meine Waden und meinen linken Oberschenkel zu massieren. Das ist der richtige Moment, um ihm von meinem gestrigen Abendessen mit M. zu erzählen, denke ich. Ich muß Ian gegenüber fair sein und ihm alles erzählen – daß ich mich mit M. getroffen habe und ihn weiterhin sehen werde, bis ich alles erfahren habe, was er weiß, alles, was er Franny angetan hat. Ian ist jetzt ein Teil meines Lebens, und ich schulde ihm die Wahrheit. Aber als ich meine Augen aufschlage und ihn ansehe, weiß ich, daß ich ihm nichts erzählen werde. Er würde mit mir streiten, würde sagen, daß ich eine große Dummheit begehe – vor allem,
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