Brennende Fesseln
mit einem Mörder das Bett zu teilen. Der Gedanke, daß M. aufgewacht ist und mich beobachtet hat, während ich schlief, läßt mich erschauern. Ich war ihm völlig ausgeliefert, nackt und wehrlos. In Zukunft darf ich nicht mehr so dumm sein. Ich lege mich zurück, schlinge die Arme um ein Kissen, drücke es fest an die Brust und lausche den Geräuschen im Bad. Mein Kopf fühlt sich leicht und benebelt an, mein Mund ist trocken – zuviel Scotch, zuwenig Schlaf. Ich denke an Ian, meinen gutgläubigen Ian, und habe wegen der letzten Nacht sofort ein schlechtes Gewissen. Aber ich weiß, daß mir keine Wahl geblieben ist. Ich will Informationen über Franny, und wenn ich mit M. schlafen muß, um sie zu bekommen, dann muß es eben sein. Der Sex mit M. war unpersönlich, rede ich mir ein, und hatte nichts mit Ian und mir zu tun. Trotzdem nagt ein tiefes, schmerzendes Schuldgefühl an mir. Mein Versuch, das Ganze zu rationalisieren, hat nicht den gewünschten beruhigenden Effekt. Ich beschließe, mich später mit meinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Im
Moment bin ich emotional nicht in der Lage, mir gleichzeitig über Ian und M. Gedanken zu machen. Ich muß mich auf M. konzentrieren.
In der Dusche läuft immer noch das Wasser. Ich denke daran, was M. letzte Nacht zu mir gesagt hat. Ich war mißtrauisch, erwartete irgendeine Form der Gewalt. Das mindeste, womit ich gerechnet hatte, war ein gewisses Maß an körperlichem Schmerz. Er lachte mich aus und sagte: »Du hältst mich für ein Monster, habe ich recht? Was glaubst du denn, was ich Franny angetan habe? Glaubt du, ich habe Gewalt angewendet, um sie zur Unterwerfung zu bringen? Sie war mit allem einverstanden, was wir getan haben. Sie hätte nein sagen können, aber das hat sie nie getan. Zugegeben, sie hat manchmal gebockt. An manchen… Aktivitäten hat sie sich nur sehr widerwillig beteiligt. Trotzdem hat sie letztendlich mitgemacht. Sie hätte nein sagen können, aber sie hat es nicht getan. Sie hätte jederzeit gehen können.« Voller Bitterkeit erinnere ich mich an seine Worte.
Ich setze mich auf und lehne mich gegen das Kopfteil des Betts. Ich habe nichts an, deswegen ziehe ich die Bettdecke bis über den Busen hoch. Heute ist Montag. M. hat um neun ein Seminar. Vielleicht kann ich hierbleiben, wenn er geht, überlege ich. Dann hätte ich die Chance, mich in seinem Haus umzusehen – die Chance, das Beweismaterial zu finden, das die Polizei braucht.
Das Rauschen hört auf. Nach ein paar Minuten kommt er aus dem Bad. Abgesehen von einem blauen Handtuch, das er lässig über die Schulter geworfen hat, ist er nackt. Er sieht mich schweigend an, geht dann zum Erkerfenster hinüber, zieht die Vorhänge zurück und gibt den Blick auf einen endlosen silbrigen Himmel frei. Im Raum wird es hell. Ich sehe eine weite Rasenfläche, zwei Nektarinenbäume, einen Mammutbaum und drei Amseln, die sich auf einer Telefonleitung niedergelassen haben. Der Garten ist von einem efeuüberwucherten
Zaun umschlossen. M. kommt zu mir herüber. Er gibt sich selbstbewußt, locker, arrogant. Im Morgenlicht, ohne die weichzeichnende Wirkung von Alkohol und Schummerbeleuchtung, unterziehe ich ihn einer kritischen Prüfung. Mit seinen neunundvierzig Jahren hat er immer noch den Körper eines Sportlers, aber die glatte Schlankheit der Jugend ist einer kantigen Festigkeit gewichen. Er hat nichts Weiches oder Verletzliches an sich. Er legt eine Hand auf meine nackte Schulter und beugt sich zu mir herunter, um mich zu küssen, aber ich drehe den Kopf weg, so daß er sich mit einer kalten Wange begnügen muß. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Amüsiert legt er den Kopf schräg, meine kleine Demonstration von Trotz scheint ihn zu erheitern. Dann richtet er sich auf. Offenbar ist er bereit, mein Verhalten durchgehen zu lassen.
Er geht zur Kommode hinüber und nimmt ein Paar Socken und Unterwäsche heraus. Dann schleudert er sein Handtuch ins Bad hinüber, kommt zum Bett zurück und läßt sich auf der Bettkante nieder. Sein Penis ist schlaff und hängt zur Seite wie die Zunge eines schläfrigen Hundes – wie die Zunge von Rameau. Er beginnt gleichzeitig zu reden und sich anzuziehen.
»Deine Schwester hatte großartige Brüste«, sagt er. »Sie waren wundervoll, einfach wundervoll. Sie hat immer davon gesprochen, daß sie zu einem plastischen Chirurgen gehen und sie verkleinern lassen wollte. Sie waren so groß, daß sie deswegen Probleme mit den Schultern und dem Rücken hatte. Sie
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