Brennende Fesseln
ruht, spüre ich die Couch unter mir. Die Beine erscheinen mir leicht, der Oberkörper schwerer. Im Bereich der Lendenwirbel spüre ich ein leichtes Stechen, ein unangenehmes Gefühl. Durch bloße Willensanstrengung gelingt es mir, das Stechen zu vertreiben. Ich rede mir ein, daß ich mit jedem Atemzug leichter werde, immer leichter, bis ich mich schließlich leichter als Luft fühle. Ein… aus…
Inzwischen spüre ich meinen Körper überhaupt nicht mehr. Ich bin völlig isoliert, von der Welt abgeschnitten. Mein Leben liegt in M.s Händen. Egal, was er mit mir macht, ich muß es akzeptieren. Ich habe die Situation nicht mehr im Griff, es ist alles außer Kontrolle geraten. Ich kann mich nicht wehren, mich nicht vor ihm schützen. Ob ich leben oder sterben werde, liegt ganz bei M. Ich lausche den stillen Worten in meinem Kopf, die mir lauter vorkommen als gesprochene, und runzle die Stirn. Was mache ich da eigentlich? Genau das will er doch – Angst, Akzeptanz, völlige Unterwerfung. Ich reagiere genau so, wie er es von mir erwartet. Er ist ein verdammtes Arschloch. Ein gottverdammtes Professorenarschloch. Ich höre die Worte schrill und klar, als hätte ich sie laut hinausgeschrien.
Ich konzentriere mich, versuche, vernünftig zu denken. Er will mir Angst einjagen, das ist alles. Er will, daß ich aufhöre, nach Frannys Mörder zu suchen. Er will, daß ich ihn in Ruhe lassen. Er kann mich nicht töten – die Polizei würde ihn diesmal nicht davonkommen lassen…
Wie lange bin ich schon hier? Ich glaube, ich bin eingeschlafen, aber ich bin mir nicht sicher. Ich höre das schrille, hohe Summen einer Mücke, die durch den Raum kreist. Draußen kreischt eine Eule. Ich atme sehr langsam ein und aus. Meine Nase hat eine enorme Bedeutung gewonnen, und ich bin mir meiner Nasenlöcher, von denen das linke leicht verstopft ist, extrem bewußt. Wenn ich es schaffe, meine Atmung unter Kontrolle zu halten, sage ich mir, dann wird alles gut werden. Ich atme tiefer, schniefe, atme schnell und stoßweise aus. Trotzdem bekomme ich das linke Nasenloch nicht frei. Wieder kommen mir die Tränen, weil mir von neuem bewußt wird, daß ich absolut hilflos bin.
»Hallo, Nora.«
Sofort versteift sich mein Körper. Ich spüre, wie sich mein Magen vor Entsetzen zusammenzieht. Wann ist er zurückgekommen? Er schiebt einen Arm unter meine Schultern, den zweiten unter meine Beine und hebt mich hoch. Er trägt mich ein kleines Stück, zwei oder drei Meter vielleicht, und legt mich dann auf etwas Niedriges, Flaches. Er versucht bloß, mir angst zu machen, sage ich mir und bemühe mich angestrengt, meine Atmung unter Kontrolle zu halten, aber diesmal funktioniert es nicht. In meiner Panik atme ich schnell und flach. Ich höre, wie sich über mir ein Deckel schließt. Ich schreie, aber heraus kommt nur ein ersticktes Gurgeln. Dann höre ich das Geräusch eines Hammers: Er klopft Nägel in meinen Sarg. Jeder meiner Muskeln ist angespannt, und ich bekomme kaum Luft. Das Hämmern hört auf. Stille. Nur noch Stille. Ich warte darauf, das Holz über den Boden kratzen zu hören, wenn er den Sarg hinausschleift, aber ich höre nichts. Habe
ich die Entfernung, die er mich getragen hat, falsch eingeschätzt? Bin ich vielleicht schon draußen? Noch immer kann ich nichts hören. Mit angehaltenem Atem warte ich darauf, Erde auf den Sarg fallen zu hören. Als das Geräusch ausbleibt, hole ich kurz Luft. Dann noch einmal. Meine Lungen schmerzen, ich warte mit zusammengebissenen Zähnen. Ich habe das Gefühl, als würde sich jeder meiner Muskeln einzeln zusammenziehen. Zeit vergeht. Ob es Minuten sind oder Stunden, weiß ich nicht. Ich warte auf das Geräusch der Erde.
Aber es kommt nicht. Statt dessen umgibt mich nur Stille. Dunkle, unaufhörliche Stille. Höllisch. Stygisch … Sind wirklich schon Stunden vergangen? Nichts scheint mehr real zu sein. Ich träume, daß ich bereits tot bin und in der Unterwelt auf dem Fluß Styx dahintreibe, eine Seele unter vielen, die hier übersetzen… Wie lange wird es dauern, bis mir der Sauerstoff ausgeht? Hat er mich schon mit Erde zugedeckt, ohne daß ich es gemerkt habe? …
Ich höre ein metallisches Ächzen. Dann ein Quietschen. Die Nägel werden aus dem Holz gezogen. Der Deckel geht auf. Als würde ich von den Toten auferstehen, werde ich aus dem Sarg gehoben und zurück auf die Couch getragen. Eine Hand hält meinen Kopf, und ich spüre, daß die Verbände aufgewickelt werden.
»Du solltest die Augen
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