Brennende Hunde
mit ihm selbst zu tun haben würde?
Am Morgen dieses Tages war er an Irenes Seite erwacht,
und es hatte sich gut angefühlt. Im Schlaf wirkten ihre verkniffenen Lippen
entspannt. Bis zum Feierabend hatte er bei ihr an der Theke gesessen und sie
dazu eingeladen, mit ihm in einem Diner essenzugehen. Dort, während des
zwanglosen Plauderns, waren sie sich nähergekommen, und Malvick hatte
aufgemerkt wie ein Hund, der mitkriegt, daß Herrchen den Napf wieder füllt. Zwar
dachte er an Roseanne, seine verstorbene Frau, doch hatte er kein schlechtes
Gewissen dabei. Daß er Irene, die er kaum kannte, im Diner gegenübersaß, ihrer
Stimme lauschte, vertraut mit ihr wurde und sie zu begehren begann, ging völlig
in Ordnung. Tausende andere in dieser Stadt saßen sich in diesem Augenblick genauso
wie sie und er gegenüber, blickten sich in die Augen, fühlten ihre geheime Hoffnung
gestillt. Und Irene, nicht Malvick, hatte schließlich vorgeschlagen, in ihre
Wohnung zu fahren und die Nacht zu zweit zu verbringen. Und bei alldem kein
schlechtes Gefühl wegen Roseanne, obwohl er wußte, daß er sie immer noch liebte
und diese Liebe niemals sterben würde – auch wenn sie vor ihrem Tod ein
Verhältnis mit einem anderen Mann gehabt hatte. Liebe kannte keine
Ausschließlichkeiten, hatte Malvick im Diner plötzlich erkannt. Seine Eifersucht
auf den fremden Mann am Krankenbett seiner Frau war wie das World Trade Center
in sich zusammen-gestürzt. Doch das Leben hielt für Malvick eine neue Katastrophe
bereit. Als Irene schließlich erwachte, war sie nicht mehr dieselbe Person, die
er abends zuvor kennengelernt hatte. Schroff und distanziert hatte sie
plötzlich gewirkt, ihm das Gefühl gegeben, sie würde die Nacht an seiner Seite
bereuen. Nein, es werde kein weiteres Treffen geben, hatte Irene ihm gesagt,
auch solle er sie nicht mehr in der Bar aufsuchen, und Malvick mußte erkennen,
daß er nur ein One-Night-Stand für sie gewesen war. So lief er durch die sich
immer dichter drängende Menge und fragte sich, ob ihm ohne sein Wissen das
Kainsmal der Verlierer in die Stirn gebrannt worden war. Die Dinge schienen aus
dem Ruder zu laufen. Eine monströse Antipathie gegen seinen Beruf brandete aus
den Untiefen seines Unterbewußtseins herauf, türmte sich auf, unüberwindbar wie
die chinesische Mauer, und nährte den Ekel. Die Trivialität seiner Existenz und
die aller anderen auf diesem Planeten, die er nun plötzlich empfand, tauchte
sein Herz in eine zuvor nie gekannte Melancholie. Vage spürte er, auf etwas
gewartet zu haben, das niemals eintreten würde. Doch es würde keine Veränderung
geben. Sein Leben war statisch und würde es bleiben. Vielleicht war dies hier
die Hölle und sie alle schon tot.
***
Den Kopf auf die auf dem silbernen Gehstock ruhenden
Händen gestützt, saß Dess in einem kleinen Raum, der an die Garderobe von
Monroe angrenzte. Er hatte sich noch einmal mit Looney und Malvick besprochen
und die Sicherheitskontrollen an allen Eingängen persönlich gecheckt. Es war
das erste Mal, daß er ein Rockkonzert dieser Größe miterleben sollte, und
verblüfft stellte er fest, daß sich die spannungsvolle Erwartung des Publikums
zu einem gewissen Teil auch auf ihn übertrug. Die Atmosphäre erinnerte ihn an
seine einstigen Wettkämpfe in den großen Sumo-Hallen von Osaka, Tokio oder
Fukuoka, wo er im Rang eines Ozeki in der Makuuchi-Division, der höchsten Sumo-Klasse,
unter dem Namen Takabono angetreten war. Allerdings ging es beim Betreten etwa des
Kokugikan, der Tokioter Kampfhalle, geordneter zu. Jeder Besucher wurde mit
großem Aufwand einzeln zu seinem Sitzplatz geführt.
Sein letzter Kampf stand ihm wieder vor Augen. Im Jahr
zuvor hatte er sein erstes Basho in der Makuuchi-Division gewonnen. Im darauffolgenden
Mai-Turnier war er dann mit einem 13-2 erneut erfolgreich gewesen. Er wurde zum
Ozeki ernannt. Im November und Januar gewann er zwei Turniere hintereinander,
und die Beförderung in den höchsten Rang, die Ernennung in den Stand eines Yokozuna,
war zum Greifen nahe gewesen. Doch im nächsten Turnier lief es alles andere als
gut. Ausgerechnet ein anderer Amerikaner sollte sich als stärker erweisen –
Chad Rowan aus Hawaii, der in Japan unter dem Kampfnamen Akebono antrat, zwei
Meter vier groß und zweihundertvierunddreißig Kilogramm schwer. Er besiegte
Dess, gewann das Turnier und wurde statt seiner zum Yokozuna ernannt. Dess hatte
daraufhin seine Karriere beendet; sechseinhalb Jahre lagen diese
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