Brennende Hunde
zu Boden
geworfen. Ihr Körper fühlte sich weich an und gut.
„Jetzt!“ sagte Thareaux, und gleich darauf erfolgte eine
Explosion. Der Lärm des Knalls hallte noch als Echo im Wald, als die zweite und
die dritte Explosion erfolgte. Schlamm regnete in Fladen auf sie nieder. Es
war, als kippte im Himmel jemand einen Eimer Gülle über sie aus.
Als der Lärm erstarb – nur noch ein leichtes
Rieseln des in die Luft geschleuderten Schlamms, der nun langsam durch das
Geäst und Laub der Bäume tropfte, war zu hören –, öffnete Dr. Chairman die
Augen. Sie erhob sich und blickte zum Pfuhl. Er war nun zu einem Drittel
geleert. Aus dem Schlammloch, dessen Oberflächenspiegel durch die Explosionen herabgesenkt
war, ragte eine breite, schmutzüberzogene Gestalt und bewegte sich nicht.
„Zu spät!“ hauchte Dr. Chairman, Entsetzen in der Stimme.
„Tut mir leid“, sagte Thareaux.
Da bewegte sich die Gestalt, öffnete die Augen, spuckte
und zog gierig die Luft ein. Einmal, zweimal.
Wie die Flüssigkeit aus einer Cola-Flasche, die man vor
dem Öffnen schüttelt, schoß die Freude darüber, daß Dess am Leben war, aus Dr.
Chairman heraus.
„Er lebt!“ schrie sie los. „Meine Güte, er lebt!“
„Das war knapp!“ nuschelte Dess. Sein Mund und seine Nase
steckten noch voller Dreck und zähflüssigem Schlamm. Noch konnte er nicht
begreifen, daß er dieses Mal davongekommen war. Er hatte den Kuß des Todes bereits
auf seinen Lippen gespürt und den Abspann gesehen, der uns Sterblichen sagt,
der Film ist vorbei.
Thareaux warf ihm das eine Ende des Seils zu, und mit
vereinten Kräften zogen Dr.Chairman und er das dreckverschmierte Wesen auf
sicheren Boden.
„Wo waren Sie so lange?“ wandte Dess sich an Chairman. „Haben
Sie unterwegs etwa doch Blumen gepflückt?“
***
Mit viel Mühe hatte Thareaux Dess geholfen, sich aus
seinem Anzug zu schälen. Nun stand Dess nackt und frierend im Wasser des Yukon
und wusch sich. Er hatte das letzte Dunkel gesehen. Er hatte in seine Seele
geblickt, und was er dort sah, hatte ihm gründlich mißfallen. Die Furcht vor
dem Tod hatte ihm die Erkenntnis gebracht, daß das Herz eines Menschen in
erster Linie aus Alpträumen und Ängsten besteht. Alle Momente des eigenen
Versagens und der Schwäche traten glasklar hervor und sprachen ihr ehernes
Urteil. Du bist schwach, urteilten sie. Du bist fehlgegangen und hast dich
geirrt. Es gibt keinen Anflug von Größe in dir. Dein Herz ist, wie das jedes anderen,
schwarz. Es schlägt, um dich daran zu erinnern, wer du hättest sein können,
hättest du nur irgend etwas richtig gemacht. Doch du hast versagt. Wie alle
anderen, so hast auch du dein Leben vergeudet. Du bekamst es zu Unrecht
geschenkt.
Dess stieg aus den Fluten und wickelte sich notdürftig in
die Decke, die Thareaux für ihn am Ufer bereitgelegt hatte.
„Was geben sie euch neuerdings in den Städten zu essen?“
fragte Thareaux. „Ihr zwei seht ziemlich groß und gutgenährt aus, nicht so
mickrig wie die anderen, die sich für gewöhnlich in den Wäldern verirren.“
Er reichte Dess, der ans Feuer getreten war, eine Tasse
mit heißem Kaffee.
„Danke!“ sagte Dess. „Sie haben mir das Leben gerettet.“
„Keine Ursache. Wer weiß, wofür’s gut war, mein Kleiner.“
„Komisch“, entgegete Dess. „So was Ähnliches ging mir
auch durch den Kopf.“
„Ihr beide seht nicht wie Karibus aus. Darf ich mal
fragen, was ihr hier eigentlich macht?“
Und Dr. Chairman erzählte ihm, sie befänden sich auf dem
Weg zur Turner-Hütte, weil sie auf der Suche nach einem Rockstar und seiner
Begleiterin waren.
„Ja, hab’ die beiden gesehen“, sagte Thareaux. „Stellten
sich gar nicht mal so ungeschickt an. Der Junge, das konnte man sehen, war
bereits öfter in der freien Natur.“
„Ist es noch sehr weit von hier?“ fragte ihn Dess.
„Nein, nicht wirklich. Ihr kann euch morgen mit dem Boot
hinfahren. Ich hab’ nämlich keine Lust, mein Kleiner, dich noch mal aus dem
Boden sprengen zu müssen.“
Später erzählte Thareaux ihnen, wie es ihn hierher
verschlagen hatte. Vor fünfundzwanzig Jahren war er ein kleiner Angestellter in
Quebec gewesen, der in einem Unternehmen angestellt war, das Thermoskannen
vertrieb. Alles lief, wie es eben so läuft – nicht gut und nicht schlecht. Eines
Tages aber hatte er sich die Frage gestellt, ob das womöglich alles sein
sollte. Er hatte gekündigt und seine Tasche gepackt. Er
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