Brennende Kontinente
genügend Energie in sich, um die Augen zu öffnen. Es kam ihm vor, als wögen die dünnen Lider so schwer wie ein Sack Mehl.
Er bückte in ein paar mandelförmige, dunkelbraune Frauenaugen, die ihn überrascht anschauten. Ein junges Gesicht schwebte über ihm, die langen, dunkelbraunen Haare waren voller Federn und mit Ästchen hoch gesteckt worden; hier und da pendelten geflochtene, mit Knochenperlen geschmückte Strähnen herab und baumelten über Vahidins Nase.
Dann hob sich das Gesicht, die junge Frau richtete sich auf und rief nach jemandem. Eine ältere Frau erschien, trat neben die Liege, auf der er ruhte. Beide trugen fellbesetzte Lederkleidung, und die Zeltwände, die er erkannte, sprachen für Nomaden.
»Bleib liegen«, sagte die Ältere zu ihm mit schrecklich hartem Akzent. »Du bist noch zu schwach, um aufzustehen, aber du lebst. Danke dem Geist des Feuers, dass er deinen Leib erwärmte und du nicht einmal einen Finger oder einen Zeh verloren hast.« Sie zog die Decke bis zu seinem Kinn, und Vahidin bemerkte nun erst, dass er nackt war. »Ich bin Lüun«, sie zeigte auf die jüngere Frau, die Anfang zwanzig sein mochte, »das ist Sainaa. Sie hat dich in den letzten Monden gepflegt und ernährt.« Sainaa lächelte. »Wir haben dich Silberhaar genannt, weil wir deinen Namen nicht kennen.«
»Ihr seid Jengorianer.«
Lüun lächelte, die Falten in ihrem sonnenverbrannten Gesicht nahmen ein neues Muster an. »Ja, wir sind Jengorianer. Unsere Jäger fanden dich und die tote Frau. Sie war schon lange gestorben, habe ich Recht?« »Ja.«
»Warum hast du sie mit dir getragen, Silberhaar?«
»Ich wollte sie nicht den Wölfen oder einem Kullak überlassen.« Vahidin fasste Vertrauen zu den beiden Frauen, die weder überaus schön wie seine Mutter noch hässlich zu nennen waren. Aber die dunklen Mandelaugen faszinierten ihn. Darin steckten Geheimnisse. Viele Geheimnisse. »Was habt ihr mit ihr getan?«
Lüun beugte sich nach vorn, fasste seine Hand. »Sie liegt bei unseren Toten. Wir haben die Tiergeister angerufen, ihrer Seele beizustehen und ihr zu sagen, dass es dir gut geht.«
»Welche Tiergeister denn?«
Lüun strich ihm über den Kopf. »Wir glauben nicht an das Wesen, das ihr Ulldrael den Gerechten nennt. Wir folgen dem Weg der Ahnen, der Geister, die wir anrufen und beschwören.«
Vahidin schaute zwischen ihnen hin und her. »Die Geister der Toten?«
Sainaa sah und hörte, dass sich der Junge aufregte. »Beruhige dich, Silberhaar. Du musst zu Kräften kommen, bevor wir uns unterhalten. Es ist wichtig, dass deine Seele Ruhe findet und du deinem Körper erlaubst, sich zu erholen.« Sie langte hinter sich und hielt ihm eine Schale mit dampfendem Fleisch hin; der Geruch erinnerte an Tannen und Heidekraut Sie spießte einen Bissen auf eine zweizinkige Gabel. »Hier, iss das. Es wurde von den Geistern des Morgens gesegnet.«
Er aß davon und war von dem Geschmack angenehm überrascht. Sainaa fütterte ihn, er kaute, schluckte und dachte nach. Vielleicht gab es einen Weg, sich das Wissen der Jengorianer zu Nutze zu machen. Wenn sie Geister anbeteten, mit
ihnen sprachen und ihnen Wünsche mitteilten, besaßen sie sicherlich auch Möglichkeiten, Geister zu bannen. Vielleicht auch solche Seelen, von denen die Modrak gesprochen hatten. Vahidin wollte sich nicht allzu viel davon versprechen, aber die Zuversicht, die er aus dem Gehörten gewann, stärkte ihn bis in den letzten Winkel seines veränderten Leibes. Er spürte, dass er wieder gewachsen war, seine Stimme klang mit einem Mal dunkler, voller, und seine Gliedmaßen trugen mehr Muskeln als vor seiner Ohnmacht. Aus ihm war beinahe ein junger Mann geworden. Er lächelte. Sainaa bemerkte es und lachte glücklich. »Die Geister des Morgens vermögen viel.«
»Ja«, nickte er und berührte ihre Linke. Er mochte den Klang ihrer Stimme, der ihn sehr an die seiner Mutter erinnerte. »Die Geister und du.«
Sainaa strahlte. »Danke sehr, Silberhaar.« Sie gab ihm das letzte Stück Fleisch, dann stand sie auf. »Ich kann sehen, wie du stärker wirst.« Einen Augenblick lang schaute sie verwundert auf sein Gesicht.
»Ich denke sogar, dass du gewachsen bist.«
Vahidin schmunzelte. »Ich bin etwas Besonderes, Sainaa. Du wirst es bald sehen.« Er senkte den Blick.
»Ich stehe tief in deiner Schuld.«
»Nur bei meinem Gemahl«, gab sie mit einem Zwinkern zurück. »Er hat mich in den letzten Tagen kaum mehr gesehen. Er ist beinahe eifersüchtig auf dich
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