Brennende Kontinente
geworden.« Sie stand auf, nickte Lüun zu und ging zum hüfthohen Eingang, der mit einer Außenklappe aus Holzrahmen und Fellen verschlossen war. »Gegen Abend besuche ich dich, Silberhaar.«
Vahidins gute Laune sank. Er mochte Sainaa, sehr sogar. Aber er mochte den Gedanken nicht, dass Sainaa sich um einen anderen so kümmerte wie um ihn. Er fühlte sich von ihr angezogen. Ein neues Gefühl! Frauen wurden für ihn auf eine Weise anziehend, wie er es vorher nicht für möglich gehalten hatte. Er schob es auf die Veränderung, die er im Schlaf durchlaufen hatte. Lüun kam näher, er roch plötzlich ihr Alter, das sie wie Gestank umgab. »Schlaf jetzt. Und gräme dich nicht wegen Sainaa«, riet sie ihm, als könne sie seine Gedanken lesen. Sie wirkte bedrückt.
»Tue ich nicht«, erwiderte er rasch. »Wo ist mein Schwert?«
»Es liegt unter deinem Lager. Aber du brauchst es nicht. Es gibt nichts hier draußen, was dir gefährlich werden kann.«
»Wo sind wir?«, fragte er verwundert. »Wie weit weg ist die nächste Stadt denn?«
»Wir sind den Spuren der Schneehirsche gefolgt. Ihr Fell ist wertvoll, und ihr Fleisch besitzt heilende Kräfte. Wir können die Geister des Blutes mit einem Opfer gnädig stimmen und uns vor der Macht der Kälte bewahren.«
»Ich habe verstanden, dass sie euch wichtig sind, aber wie weit sind wir von einer Stadt entfernt?« Er funkelte Lüun böse an.
»Es sind mehr als dreihundert Warst. Aber wir bringen dich in eine Stadt, sobald wir sicher wissen, dass es dir gut geht.« Sie bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick, ihre Finger formten ein hastiges Zeichen. »Schau mich nicht an, als wollte ich dir schaden, Silberhaar.« Dann strich sie ihm eine Strähne zur Seite. »Du und die Frau sind Adlige, das weiß ich. Deine Kleidung sah sehr wertvoll aus. Aber was hat dich in den Wald getrieben?«
Vahidin schwieg. »Bist du verfolgt worden?«
»Räuber«, log er hastig. »Wir waren auf einem Ausflug, und dann wurde unser Schlitten aus dem Hinterhalt angegriffen. Ich und meine Mutter sind geflohen, und als sie ... zusammengebrochen ist, habe ich sie getragen.«
Lüun seufzte. »Es tut mir Leid. Die Räuber sind schon lange nicht mehr auf unserer Spur, unsere Jäger haben niemanden gesehen. Wir sind mitten in der Tundra, es gibt weit und breit nichts, hinter dem sie sich verbergen könnten. Du bist in Sicherheit.«
»Und weit weg von zu Hause.«
»Wir bringen dich zurück. Das verspreche ich dir.« Lüun erhob sich, nahm die Schale und kehrte zum Feuer zurück, das in der Mitte des Zeltes brannte; der Rauch zog durch eine Öffnung in dem fünfeckigen Zelt ab.
Vahidin wandte das Gesicht nach rechts. »Es ist mir gleich. Die Räuber haben inzwischen auch unser Anwesen vernichtet. Sie sagten jedenfalls, dass sie es vorhätten.«
»Wo lebt dein nächster Verwandter?«
Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Meine Halbschwester ist verschwunden. Aber ich finde sie.« Seine linke Hand tastete unter dem Bett nach dem Schwertgriff und packte zu; sofort fühlte er sich besser.
»Ich finde sie«, wiederholte er leiser und gefährlich.
Lüun drehte sich zu ihm um. »Silberhaar, was verbirgst du?«, brach es aus ihr hervor. Vahidin schaute verwundert zu ihr. »Wie ...«
»Wir haben dich dem Atem der Manen übergeben.« Sie näherte sich ihm. » Eigentlich wollte dich der Tsagaan befragen, aber ...« Sie schluckte und setzte sich neben ihn. »Es ist ein Ritual, Silberhaar, das wir zur Reinigung von bösen Kräften verwenden.« Lüun betrachtete ihn wie eine Kuriosität. »Bei dir färbte sich der Atem der Manen. Zum ersten Mal gelang es ihnen nicht, die Kraft des Bösen zu vertreiben.« Sie lächelte angestrengt. »Dabei siehst du rein und unschuldig aus. Manche glauben, dass die Manen sich irrten. Oder der Tsagaan beging einen Fehler in seiner Anrufung.« Der letzte Rest ihrer Fröhlichkeit schwand und wich schlecht überspielter Besorgnis. »Kannst du uns sagen, weswegen die Manen machtlos blieben, Silberhaar?«
Sie hatte nicht gesehen, dass Vahidins linke Hand auf der anderen Seite auf den Boden reichte und das Schwert hielt. Er unterdrückte den für ihn selbst unverständlichen Impuls, sie damit niederzustrecken.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete er bedächtig und bemühte sich, aufrichtig zu klingen. Lüun erhob sich. »Dann schlaf nun, Silberhaar.« »Ich warte auf Sainaa.«
»Es wird dauern, bis sie zurückkehrt. Sie hat ihre Kinder und ihren Mann zu versorgen.« Die
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