Brennende Sehnsucht
vielleicht, betrunken zu bleiben, bis das glückliche Paar die Kutsche bestieg, die sie in die Flitterwochen bringen würde.
Wenn es nach ihm ginge, würde er jetzt einfach gehen, aber Calder würde es nie verstehen, wenn Rafe der Zeremonie nicht beiwohnte, und um nichts auf der Welt würde Rafe ihm seinen Grund dafür nennen.
Dann stand Calder plötzlich vor ihm, und sein Gesichtsausdruck wurde tadelnd, als er des fehlenden Brandys in der Karaffe gewahr wurde.
»Hau ab, großer Bruder.«
Calder grunzte. »Meine Verlobte hat sich eingerichtet. Ich wäre dir dankbar, wenn du einen guten Eindruck auf ihre Familie machen würdest.« Er verschränkte die Arme. »Das heißt, du wirst dich nicht an Miss Millburys Cousinen ranmachen.«
Rafe hob die rechte Hand und legte seine linke mit gespielter Ernsthaftigkeit aufs Herz. »Ich gelobe feierlich, dass ich mich nicht an Miss Millburys Cousinen ranmachen werde.« Das war kein Problem, denn sein Ruf als Verführer von Jungfrauen entsprach nicht den Tatsachen.
»Und versuche wenigstens bis zum Abendessen nüchtern zu bleiben.«
»Ach, halt den Mund«, murmelte Rafe. Du hast das Mädchen gekriegt. »Lass mir wenigstens den Brandy.«
Sein Bruder wandte sich zum Gehen, konnte es aber nicht unterlassen, das letzte Wort zu haben. »Es kommt mir eher so vor, als hätte der Brandy dich.«
Rafe starrte die Karaffe an, während sein Bruder den Raum verließ.
Deirdre schlenderte durch das Haus und blieb einen Moment stehen, um mit den Fingerspitzen über den Rand einer
großen chinesischen Vase, die auf einem Tischchen im Flur ausgestellt war, zu streichen. Das glatte, kalte Porzellan hinterließ nicht die kleinste Spur von Staub auf ihrer Fingerspitze. Natürlich nicht. Brook House glänzte vor Wohlstand, Komfort und guter Pflege.
Sie seufzte vor Neid. Ihr eigenes Haus in Woolton hatte unter Tessas Führung der Dienerschaft sehr gelitten, wenngleich Deirdres eigene Zimmer immer makellos und warm waren. Trotz der kleinlichen Genugtuung, die es ihr bereitet hatte, Tessas Hilflosigkeit gegenüber der gemeinschaftlichen Gehässigkeit der Dienerschaft zu sehen, sehnte sich Deirdre nach der Zeit, als das Feuer in den Kaminen großzügig brannte und die Abendessen vorzüglich waren – als Papa noch am Leben war.
So wäre es auch hier in Brook House – wenn nicht noch viel besser. Die Herrin von Brook House würde ein Leben in unvergleichlichem Luxus führen, verhätschelt von aufmerksamen Dienern, verwöhnt von einem großzügigen Ehemann und durch ihren Status und ihren Reichtum frei, das zu tun, was sie wollte und wann sie es wollte.
Nun, das wirst ganz gewiss nicht du sein.
Phoebe war die Herrin von Brook House oder wäre es zumindest in wenigen Wochen. Deirdre unterdrückte eine dunkle Welle des Grolls. Phoebe würde alles bekommen – das Haus, das Erbe...
Und Brookhaven persönlich.
Das Schlimmste daran war, dass Phoebe nicht einmal zufrieden damit schien. Für Phoebe war jeder Traum in Erfüllung gegangen, den Deirdre jemals zu träumen gewagt hatte, und doch war sie so blass und zögerlich wie ein Gefangener, der zum Schafott geführt wurde.
Es reichte aus, dass Deirdre Phoebe hassen könnte, wenn ihr das verdammte Ding nicht so leidtäte. Gott, dieser Vater!
Tessa mochte eine bösartige und gnadenlose Kuh sein, aber Deirdre musste ihre Misshandlungen nicht persönlich nehmen, denn sie war ja nicht mit ihr verwandt. Tessas Status als ihr Vormund war irgendwann vorbei – je früher, desto besser.
Aber »der Vikar«, wie Phoebe ihn nannte – niemals »Papa« oder »mein Vater« -, war so kalt und unnahbar wie Tessa hitzig und aufdringlich. Es schien ihm gar nichts auszumachen, dass Phoebe offensichtlich unglücklich über ihre Verlobung war und von Stunde zu Stunde stiller und blasser wurde.
Und natürlich war Brookhaven, der riesige Kerl, genauso blind. Er nahm Phoebe beim Arm, hielt ihre Hand, sprach mit ihr, aber er sah sie niemals wirklich an.
Ich würde es nie zulassen, dass ein Mann mich so ignorierte. Ich würde ihn dazu bringen, mich zu sehen. Ich würde ihn dazu bringen, sich nach mir zu verzehren.
Deirdre schwebte den Flur entlang, öffnete eine Tür nach der anderen und fand jedes dahinterliegende Zimmer erlesener als das vorige. Zuletzt öffnete sie die Tür zu einem kleinen privaten Salon, der ihr den Atem stocken ließ.
Herrliche Landschaften bedeckten die Wände von der hölzernen Wandverkleidung bis zur Decke. Pastellfarbene Samtvorhänge
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