Brennender Stahl: Die Schattensammler-Saga (Die Chroniken von Mondoria) (German Edition)
Vermutlich hätte er es auch nicht verstanden. Und die Geschichte aus jener tragischen Nacht sollte ganz gewiss niemals jemand erfahren. Das hatte er sich geschworen. Keiner würde nachvollziehen können, was da tatsächlich geschehen war. Er selbst begriff es ja nach wie vor nicht. Also trug er das dunkle Geheimnis wie eine schwere Bürde mit sich herum.
Dass außerdem seine Axt einiges von ihrer Macht eingebüßt hatte, als er das Portal damit verschloss, behielt er ebenfalls lieber für sich. Zuerst hatte er Sorge, dass die Menschen sich dann mehr mit der Axt als mit ihm beschäftigen würden. Die Rolle als Held gefiel ihm viel zu gut. Später wollte er keine Panik auslösen. Denn die Axt hatte sich zu so etwas wie einem Heiligtum entwickelt – wie eine Versicherung gegen jede drohende Gefahr. Da brauchte keiner wissen, dass sie letztlich nicht mehr die alte war. Allein das Wissen um ihre Existenz schenkte den Menschen Mut, Hoffnung und Selbstvertrauen. Das musste reichen.
Nach all den Jahren besuchte ihn nur noch selten jemand. Zurückgezogen lebte er mit ein paar Freunden – treuen Weggefährten – in seinem Landhaus und genoss die Annehmlichkeiten des Lebens. Kürzlich hatte sich tatsächlich ein Mystiker zu ihm gewagt. Lange hatten sie sich sehr zurück gehalten, lebten mehr im Verborgenen. Doch die Leute vergaßen schnell und meinten, ihre magischen Kräfte und ihr geheimes Wissen zu benötigen. Also hielten sie wieder Einzug in die Mitte der Gesellschaft. Einar hingegen sah das anders. Er ließ den Besucher gar nicht erst zu sich kommen, sondern schickte ihn unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Natürlich wusste er, dass man nicht alle Mystiker über einen Kamm scheren durfte. Es war eine kleine Gruppe, die die Dämonen heraufbeschworen hatten. Andere hatten brav an ihrer Seite gegen die drohende Gefahr gekämpft. Dennoch saßen die Vorbehalte tief. Und an diesem Punkt konnte und wollte der Schmied nicht über seinen Schatten springen.
In letzter Zeit musste er immer häufiger daran denken, dass er den größten Teil seines Lebens bereits hinter sich gebracht hatte. Die Zeit vor ihm war durchaus überschaubar. Nicht, dass ihm das große Sorgen bereitet hätte. Seine Seele würde zu seinen Ahnen versammelt werden und an der Tafel der Helden in Eisengard Platz nehmen. Dort sah er – ganz unbescheiden – seinen Platz. Wo auch sonst? Nur die Frage, was nach seinem Tod aus der Axt werden sollte, brachte ihn zunehmend ins Grübeln. Er hatte keinen Erben. Seine Frau konnte ihm keine Kinder schenken. Und sich einfach eine neue nehmen, wie andere dies taten, das wollte er nicht. Er liebte Lidda. Sie gehörte zu ihm – und er zu ihr. Also trugen sie dieses Schicksal tapfer gemeinsam.
Jetzt allerdings wünschte er sich einen Nachkommen, dem er die Waffe, das Symbol des Sieges über die dämonischen Kräfte, zu treuen Händen übergeben konnte. Einem Fremden mochte er sie nicht vermachen. Sofort würden sich alle wie die Geier darauf stürzen. Und es wäre nur eine Frage der Zeit, bis jemand herausfand, dass die Axt nicht mehr im Vollbesitz ihrer Macht war. Nicht auszudenken, was dann passieren könnte. Angst, vielleicht sogar Panik würde sich unter der Bevölkerung breit machen. Wer oder was sollte sie vor all dem Bösen beschützen und bewahren? Ohne Helden und ohne Axt! Einar hatte diese Gedanken immer wieder in seinem Kopf bewegt. Und schließlich war er zu einem Entschluss gekommen.
Wie aufs Stichwort betrat Wilko, sein Freund und Kammerdiener den Raum. Mit einem angedeuteten Nicken begrüßte er den Schmied. „Dein Besuch ist eingetroffen.“, sagte er dann. Erfreut stand Einar aus seinem Sessel auf. Er setzte viele Hoffnungen auf diesen Mann. Und wenn alles so lief, wie er es sich vorstellte, würde er schon bald eine Lösung für sein Problem in Händen haben. Und dann könnten die Götter ihn guten Gewissens zu sich rufen. Er spürte, wie die Nervosität seine Finger kribbeln ließ. „Dann mal herein mit ihm.“
Kapitel 39
Angst und Sorge standen den Mystikern immer noch ins Gesicht geschrieben. „Das ist Wahnsinn!“, hatte Illa ein ums andere Mal in den Raum geworfen – und nach wie vor versuchte er die anderen von ihrem Vorhaben abzuhalten, flehte sie regelrecht an. Denn das, was Norbert vorgeschlagen hatte, trug ein großes und unberechenbares Risiko in sich. Er plante, mit Hilfe uralter mystischer Formeln und Rituale einige ihrer Besucher in das Reich der Schatten zu schicken.
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