Brennendes Land
Kriminalitätsrate, verrückte Drogenbanden, die automatischen Waffen waren spottbillig und leicht zu bekommen. Jämmerliche, wütende, bedauernswerte Menschen. Menschen, die einen tiefen Groll mit sich herumschleppten, Menschen voller Hass. Das war eine seltsame Zeit damals. Die Menschen strengen sich nicht sonderlich an, wenn ihnen bewusst ist, dass sich ihr Leben binnen einer Woche komplett umkrempeln kann. Das Leben hat dann keinen Sinn mehr, heute aber sind die meisten Amerikaner, zumal die Armen, wesentlich zufriedener als damals. Sie mögen ohne jede Orientierung sein, wie unser Senator gerne sagt, aber sie sind nicht niedergedrückt und verzweifelt. Sie stochern einfach bloß herum. Lassen sich treiben. Hängen herum. Wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen.«
»Mag sein.«
»Wenn Sie sich eine Weile bedeckt halten, löst sich das Problem von selber. Irgendwann gehen Sie nach Boston oder Washington, wenden sich anderen Themen zu, gehen Huey aus dem Weg. Die automatischen Mailings sind wie Stacheldraht, lästig, aber dumm. Die Programme verstehen nicht mal, was drinsteht. Wenn Sie erst einmal eine Nachricht von gestern sind, werden die Computer Sie einfach vergessen.«
»Ich habe die Absicht, noch eine ganze Weile aktuell zu bleiben, Jules.«
»Dann sollten Sie aber lernen, so zu leben wie andere Berühmtheiten auch.«
Oscar war entschlossen, sich von den alarmierenden Neuigkeiten nicht demoralisieren zu lassen. Er fuhr mit der Arbeit am Hotel fort, das traumhafte Fortschritte machte, wie es bei einem Bauwerk von Bambakias üblich war. Die ganze Mannschaft packte an; alle waren von Bambakias’ Ideologie angesteckt, daher wollten sie sich den Spaß um nichts in der Welt entgehen lassen. Seltsamerweise machte die Arbeit tatsächlich Spaß, und zwar auf ganz eigene Weise; die Leiden der anderen zu teilen, bereitete eine Menge Schadenfreude. Das System registrierte jeden einzelnen Handgriff und verhinderte so, dass man seine Freunde für sich arbeiten ließ. Die verteilte Realisierung machte Spaß in dem Sinne, wie Sportlerteams Spaß hatten. Balkone entstanden, Torbögen und Säulen wuchsen in die Höhe, das ungeordnete Durcheinander kristallisierte zu geordnetem Raum. Es war, als kämpfe man sich mit Seilen und Steigeisen einen Berghang empor, um plötzlich voller Dankbarkeit die wunderschöne Aussicht zu genießen.
Gewisse Arbeiten zogen unweigerlich faszinierte Zuschauer an: das Anziehen der Spannkabel beispielsweise, die ein loses Durcheinander von Blöcken in einen massiven Wall verwandelten, der die nächsten dreihundert Jahre überdauern würde. Bambakias’ Bauteams genossen diese theatralischen Effekte sehr. Bei langweiligen Arbeiten übertrieben sie um der Zuschauer willen. In den hervorstechenden Momenten aber waren sie so konzentriert und cool bei der Sache wie die Jazzmusiker des zwanzigsten Jahrhunderts.
Oscar war ein politischer Berater. Das Publikum zu würdigen, gehörte zu seinem Job. Angesichts einer Zuschauermenge empfand er ähnlich wie ein Farmer beim Anblick seiner gedeihenden Wassermelonen. Jetzt, da er befürchten musste, dass eine der Wassermelonen auf ihn schießen würde, fiel es ihm allerdings schwerer, seine gewohnte Begeisterung heraufzubeschwören.
Natürlich war ihm der Gedanke an seine persönliche Sicherheit nicht neu; während des Wahlkampfs hatten alle gewusst, dass es zu Zwischenfällen kommen und dass der Kandidat Schaden nehmen könnte. Der Kandidat mischte sich unters Volk, und einige Leute waren halt von Natur aus gewalttätig oder verrückt. In Massachusetts hatte es tatsächlich ein paar hässliche Vorkommnisse gegeben: lästige Zwischenrufer, verbohrte Protestierer, kotzende Betrunkene, Taschendiebe, Ohnmachtsanfälle, Drängeleien. Das lästige Drumherum, das gute Sicherheitsmaßnahmen so unverzichtbar machte wie Sicherheitsgurte oder Feuerlöscher in Flugzeugen. In neunundneunzig von hundert Fällen waren die für die Sicherheit aufgewendeten Ausgaben und die investierte Mühe vergebens. Im hundertsten Fall war man heilfroh, dass man so umsichtig gewesen war.
Die Reichen waren heutzutage ständig auf Sicherheit bedacht. Bodyguards gehörten ebenso wie Hausverwalter, Köche, Sekretäre, Systemadministratoren und Imageberater zur Grundausstattung der Oberschicht. Eine gut organisierte Mannschaft und die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen wurden von reichen Leuten einfach erwartet; ohne eine Mannschaft wurde man nicht ernst genommen. Dies alles
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