Brennendes Schicksal (German Edition)
gellender Schrei durch das Haus hallte.
Es war ein furchtbarer Schrei, durchdringend und von solch eisiger Kälte, dass es jeden fröstelte, der diesen Schrei hörte. Er drang durch alle Wände, in jedes Zimmer, jede Kammer. Er hallte durch die Gänge und Flure, schien sich zu verdoppeln, zu verdreifachen. Ein Schrei, der nicht von einem Menschen zu stammen schien. Ein Schrei der allerhöchsten Qual. Ein Schrei, der aus der Hölle kam.
Sidonia brach auf der Stelle in Tränen aus und klammerte sich an ihren Herrn, als wäre er der Retter in der höchsten Not. Angelo da Matranga schüttelte sie ab und eilte dem Schrei hinterher. Wie von allen Teufeln gehetzt, jagte er die große Freitreppe hinauf. Auch auf der anderen Seite hörte er Schritte. Ein Knecht kam gelaufen, die Köchin eilte herbei, ein jeder mit blassem Gesicht.
Es war nur eine einzige Tür, die offen stand. Angelo stürzte hinein und blieb wie angenagelt stehen. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. Hinter ihm schrie die Köchin auf und presste sich sogleich die Hand vor den Mund. Der Knecht schlug ein Kreuzzeichen und betete leise ein Vaterunser.
Beatrice aber lag quer über dem Bett, welches beinahe das ganze Zimmer einnahm, und bedeckte mit ihrem Leib den Körper ihres Sohnes Orazio.
Angelo da Matranga spürte, wie das Herz in seiner Brust zu zittern begann. Die schwerste Last der Welt legte sich auf seine Schulter und drückte ihn beinahe zu Boden. Um die Brust spürte er einen Ring aus Eisen, der ihm fast den Atem raubte.
Beinahe ohnmächtig vor Angst trat er näher – und sah in die toten Augen seines Sohnes Orazio.
Lang hingestreckt lag er da, die Augen fragend und flehend zum Himmel gerichtet, das Gesicht von unendlicher Qual zu einer Fratze verzerrt, die Hände selbst im Tod noch auf den Bauch gepresst. Weißlicher Schaum stand auf seinen halb geöffneten, blutleeren Lippen. Ein leiser Geruch nach bitteren Mandeln schwebte im Raum.
Fassungslos starrte Angelo da Matranga auf Orazio. Sein Verstand weigerte sich zu begreifen, was seine Augen sahen. Vorsichtig hob er die Hand und rüttelte an Orazios Arm. Er hob ihn an, doch als er die Schwere merkte, ließ er ihn fallen. Beatrice lag noch immer halb auf dem Körper ihres Sohnes, hatte die Hände in den Stoff seiner Kleidung gekrallt und stieß Laute aus, die an das Geheul eines Wolfes erinnerten.
»Ist er tot? Wieso ist Orazio tot? Woran ist er denn gestorben? Er war noch so jung und kerngesund. Wieso ist er tot?«
Es war die Köchin, aus deren Mund diese Fragen sprudelten.
Sidonia, die kleine Magd, war inzwischen ebenfalls aus der Küche herbeigeeilt.
Als sie sah, was geschehen war, brach sie in lautes Weinen aus. Sie trat näher, betastete vorsichtig seine Stirn, betrachtete, dabei weiterhin laut weinend, den Schaum auf Orazios Lippen, sah hinunter auf sein Wams und bemerkte einen Fleck.
»Hat er von der Milch getrunken ?«, fragte sie verwundert und tippte mit dem Finger auf den weißen Fleck.
»Lass die Milch jetzt«, stammelte Angelo, der noch immer auf seinen toten Sohn starrte und nicht glauben konnte, was er da sah.
Beatrice aber war bei diesen Worten hochgeschnellt und verabreichte der armen Magd schon die zweite Ohrfeige an diesem Morgen. »Halt den Mund! Halt den Mund, sage ich. Du warst es, die meinen Sohn getötet hat. Du warst es, die die Milch unbeaufsichtigt gelassen hat. Du bist die Mörderin Orazios.«
Sidonia schrie auf und rannte aus dem Zimmer. Beatrice aber brach wieder in ihr Geheul aus, umfasste das Gesicht ihres Sohnes mit beiden Händen und presste ihre trockenen Lippen auf seinen schaumigen Mund.
Sie ist wahnsinnig geworden, dachte Angelo da Matranga. Der Schmerz hat ihr den Verstand verwirrt.
Er packte sie bei den Schultern, zog sie hoch, hielt ihr die Arme fest, mit denen sie um sich schlug und wandte sich dabei an den Knecht: »Hole den Bischof. Mach schnell. Und einen Arzt bring auch mit.«
Dann hielt er Beatrice im Arm, hielt sie so fest, dass sie sich nicht rühren konnte, und starrte weiter ungläubig auf den toten Orazio, bis der Arzt endlich eintraf.
Wortlos und Angelo da Matranga nur mit einem Kopfnicken grüßend, beugte er sich über den Toten, dessen Mund nun nicht mehr von Schaum bedeckt war.
»Es riecht nach Bittermandelaroma«, sagte er und wandte sich dabei an den Visconte.
»Was heißt das?«
Der Arzt zuckte mit den Achseln.
»Gift.«
Obwohl er das Wort leise ausgesprochen hatte, kam die Wirkung der eines Donnerschlages
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