Brennendes Schicksal (German Edition)
hat sie mich daran riechen lassen. Es roch wirklich nach bitteren Mandeln. Danach war mir ein wenig übel, aber die Köchin meinte, das käme von der Kohlsuppe.«
»Das Kästchen der Viscontessa, wo steht es, Sidonia?«
Die Magd zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, Herr. Die Viscontessa trägt es immer in ihrer Rocktasche.«
»Hast du es schon einmal in der Küche oder in den Vorratsräumen gesehen?«
Sidonia schüttelte den Kopf. »Nein, Visconte. Noch nie. Sie hat es immer bei sich. Gemahlene Mandeln sind sehr kostbar, wissen Sie. Es wäre unrecht von uns, wenn wir verschwenderisch damit umgingen. Und die in dem Kästchen sind von einer ganz besonderen Qualität. Aus Genua hat die Viscontessa sie sich schicken lassen. Für viel Geld und damit Signorina Laura bald wieder auf den Beinen ist.«
»Und Orazio?«, fragte der Visconte. »Kam er manchmal in, die Küche?«
Sidonia wurde über und über rot. »Ja, Herr. Manchmal kam er zu uns.«
»Was hat er gemacht?«
Wenn es möglich war, noch tiefer zu erröten, so geschah genau dies mit Sidonia. Ihr Gesicht sah aus, als wäre es in Kirschsaft getunkt worden.
»Nun, Visconte, er ist einfach nur so gekommen. Ohne Grund, wie mir scheint.«
»Hat er Mandelmilch gemocht?«
»O ja, Herr! Sehr gern sogar. Die Köchin hat ihm beinahe jeden Morgen einen Becher voll gemacht. Aber sie hat dafür die Mandeln genommen, die es auf dem Campo zu kaufen gibt. Nicht die aus dem Kästchen der Viscontessa.«
»Also könnte es sein, dass Orazio auch heute Morgen in der Küche war und aus der Kanne, die für Signorina Laura vorbereitet war, getrunken hat.«
Sidonia nickte eifrig. »Ganz bestimmt war es so. Das habe ich auch schon dem Questore gesagt.«
»Danke, Sidonia. Du kannst gehen.«
Die Kleine knickste und ließ Angelo da Matranga allein. Er schleppte sich mehr, als dass er ging, zu seinem Kontortisch. Dann stützte er die Ellbogen auf die Tischplatte und verbarg sein Gesicht darin. Die Schultern begannen zu zucken, ein Zittern lief durch seinen Leib. Es war unübersehbar: Der Visconte Angelo da Matranga weinte.
Er weinte wie ein Kind. Der Schmerz um Orazios Tod schnürte ihm die Brust zu, ein eiserner Ring hatte sich um sein Herz gelegt.
Doch das tiefe Stöhnen, die blanke Verzweiflung, die von ihm Besitz ergriffen hatte, hatte andere Ursachen. Er fühlte sich schuldig an Orazios Tod. Er war der Einzige, der dieses Unglück – und dass es ein Unglück war, dessen war er sich ganz sicher – hätte verhindern können. Nur er. Niemand anderes. Er kannte Beatrice lange genug. Er hätte misstrauisch werden müssen, als sie Lauras Freundschaft gesucht hatte. Jetzt, da es zu spät war, sah er alles mit klarem Blick.
Beatrice hatte die Milch vergiftet, um Lauras Tod und den Tod des kleinen Angelino herbeizuführen. Sie wollte Orazios Erbe nicht teilen. Und sie hasste Laura, weil er, Angelo da Matranga, sie liebte. Die Freundschaft war eine scheinheilige und nur dazu da, um Laura und alle anderen in Sicherheit zu wiegen und um überhaupt Zugang zu ihrem Haus und zu ihrem Vertrauen zu gewinnen.
Wäre Orazio nicht gestorben, so wären wohl jetzt schon Laura und Angelino tot. Er erinnerte sich daran, dass Laura in den letzten Tagen bereits über Übelkeit geklagt hatte. Auch der Säugling war unruhig gewesen. Hatte Beatrice bereits damit begonnen, ein wenig Gift in die Milch zu mischen, die sie Laura brachte, damit ihr Tod durch die vorangegangene Übelkeit eine Begründung fand?
Als der Visconte bei diesem Gedankengang angelangt war, stöhnte er leise auf. Ein Stich, scharf wie der eines Messers, fuhr ihm durch das Herz. Er fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Um ein Haar hätte er die Frau verloren, die ihm mehr bedeutete als sein eigenes Leben. Und noch immer war diese Frau in Gefahr.
Angelo da Matranga musste handeln. Er musste nicht nur Laura schützen, sondern obendrein den Namen seiner Familie und seinen Stand. Ja, die ganze Republik Siena stand auf dem Spiel. Zuallererst aber musste er mit Beatrice reden.
Er holte ganz tief Luft und betrachtete noch einmal den Campo und das Leben, das darauf stattfand. Es war wie immer. Händler priesen lautstark ihre Waren an, Wasserträgerinnen schleppten an einem über die Schulter gelegten Holz volle Eimer, Scherenschleifer tummelten sich in den Gassen, Gaukler und Wahrsager, Barbiere und Handleser hatten ihren Platz am Rande des Campo aufgeschlagen und zeigten den Hausfrauen, Mägden und den anderen Marktbesuchern ihr
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