Brennnesselsommer (German Edition)
Stange sitzt, sein Fuß mit einem Kettchen an die Stange geleint. Als sie näher tritt, öffnet er noch nicht einmal die Augen. Herr Deimel tänzelt unruhig um Fränzi herum und versucht, sie zu ihrem Tisch zurückzulotsen, aber Anja winkt sie zur Theke hinüber, und sie macht gleich ein Foto von dem elenden Papagei.
»Wissen Sie«, sagt Herr Deimel, »die Vögel kommen sowieso bald weg, wir denken eher an künstliche Tiere, künstlerische, meine ich, also von Künstlern, verstehen Sie? Diese hier singen ja sowieso nicht. Und Dreck machen sie auch.«
»Ja, das haben Tiere so an sich«, pflichtet Fränzi ihm bei, »und Menschen übrigens auch.« Sie lachen beide.
»Wissen Sie, was?«, sagt Fränzi, »wir nehmen sie gleich mit. Dann haben Sie keine Arbeit damit.« Herr Deimel seufzt und zupft an seiner Krawatte.
»Können Sie vielleicht noch warten, bis die Gäste fertig sind?« Da bringt die Kellnerin gerade die Pommes, und sie setzen sich noch einmal an den Tisch. Herr Deimel verschwindet hinter der Schwingtür, sie hören ihn telefonieren, aber sie können nicht verstehen, was er sagt.
»Warum ist er plötzlich so höflich?«, fragt Flitzi.
»Er hat Angst, dass wir Dreck machen«, sagt Fränzi, »oder Ärger.«
In Ruhe essen sie die Pommes, die Kellnerin bringt noch zwei Portionen Eis für die Kinder, und als die anderen Gäste aufstehen, holt Fränzi aus dem Transporter die Trittleiter und ein paar Schraubenzieher.
»Vielleicht schließen Sie kurz das Lokal, nur vorübergehend, versteht sich«, nickt sie Herrn Deimel zu und macht sich daran, zusammen mit Anja die ersten Käfige von der Decke zu schrauben. Vogelmist und dreckiger Sand stauben ihnen entgegen. Die Vögel – Kanarienvögel, Wellensittiche und Zebrafinken, aber auch größere – huschen in heller Aufregung hin und her. Flitzi hält dem Papagei ein paar Erdnüsse hin, aber er öffnet kaum die Augen. Inzwischen haben sich zwei Köche, ein Spüljunge, die Kellnerin und eine wütende Frau im Gastraum versammelt und starren Fränzi und die Kinder an, während sie einen Käfig nach dem anderen herunternehmen. Der Dreck rieselt auf die Tischdecken und die Rindenzwerge. Die wütende Frau murmelt vor sich hin und beißt sich auf die Lippen.
»Kann man nicht ändern«, sagt Fränzi. »Sie kriegen ja bald Kunstvögel, die machen weniger Dreck. Die können höchstens einstauben.«
»Und die Aufnahmen werden gelöscht, darauf kann ich mich dann verlassen?«, fragt Herr Deimel und weicht angewidert zurück, als Anja die Stange mit dem elenden Papagei an ihm vorbeiträgt.
»Dafür sorgen meine Praktikantinnen«, sagt Fränzi großspurig und wuchtet den letzten Käfig aus der Ecke.
Im Transporter stellen sie die Käfige vorsichtig aufeinander, und Anja muss sich danebensetzen und dafür sorgen, dass nichts umkippt. Herr Deimel kommt noch zum Wagen und schüttelt ihnen die Hand. In der Tür steht die wütende Frau, die Hände in die Seite gestemmt.
»Kommen Sie wieder, wenn wir umgebaut haben«, sagt er, »und dann können Sie ein paar Bilder machen.«
»Besser nicht«, sagt Fränzi. »Schönen Tag noch«, und sie fahren davon und sehen gerade noch aus dem Rückfenster, dass ein riesiger silberner Wagen vorfährt.
»Waldesruh heute geschlossen«, sagt Anja, der Herr Deimel fast etwas leidtut.
»Davon wird der nicht arm«, sagt Fränzi und dreht sich nach den Vögeln um. »Wir hätten Tücher mitnehmen sollen zum Abdecken, das hätte sie beruhigt.«
»Sind wir deine Praktikantinnen?«, fragt Anja von hinten.
»Ihr seid alles Mögliche«, sagt Fränzi, »aber vor allem seid ihr Lehrlinge. Ich übrigens auch.«
»Herr Deimel auch?«, fragt Anja, die immer gedacht hat, Lehrlinge müssten sehr jung sein.
»Ja, und vor allem seine Frau«, sagt Fränzi und hält so behutsam vor dem Gnadenhof, als wären die Bremsen aus Butter. Denn Vögel sind zarte Geschöpfe.
Anja und Flitzi sind jetzt so oft bei Fränzi, dass sie für manches andere keine Zeit mehr haben. Anjas Freundinnen aus der Schule haben sich schon beschwert, dass sie sich nachmittags nicht mehr blickenlässt, und zum Turnen geht sie auch nicht mehr. Neulich hat sie mit Mama darüber gestritten, ob sie mit dem Flötenunterricht aufhört oder nicht. Als Anja davon erzählt, wird Fränzi richtig wütend.
»Das wäre doch dumm«, ruft sie. »Es ist toll, wenn du ein Instrument spielen kannst!«
»Ich bin nicht dumm«, sagt Anja trotzig, »und Flöteüben ist langweilig!«
Manchmal ist
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