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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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einverstanden sei, er würde sich eines Tages selbstverständlich beim Onkel (dementsprechend) revanchieren. Der Onkel nickte und blickte kurz zu mir, ich zuckte etwas unbeholfen mit den Schultern, bestimmt kein triftiger Grund, es nicht zu tun. Wir sprachen bei uns zu Hause kaum von unseren Nachbarn, die meisten kannte ich von den alljährlichen Brenntagen, bestenfalls wusste ich, wie manche ihrer Töchter und Söhne hießen, einige begegneten mir früher oder später auf der Straße, oft genug ähnelten sie reiferen Männern und Frauen, deren Alter ich unmöglich absehen konnte. Manche von ihnen galten als wohlhabend, und andere hatten es schwerer, ihr Auskommen zu finden, die nahmen nur allzu gern die Hilfe meines Onkels in Anspruch.
    Der Nachbar wohnte ein paar Ecken weiter, von unserem Dach aus war sein Garten gut zu erkennen, nur das Haus blieb hinter dichten Baumkronen verborgen, die von Würgepflanzen bedrängt wurden. Er betrat sein Grundstück, und ich folgte ihm, zwei Hunde lagen unweit des Hauses im Schatten und hechelten, sie würdigten mich keines Blickes. Er zeigte mir seinen Garten und später sogar das Innenleben des Hauses … Das Gebälk war von Holzwürmern befallen, einige der Fensterscheiben eingeschlagen, und einen neuen Anstrich hätte es allemal vertragen (außen wie innen). Eigentlich sah es so aus, als würde hier schon seit Jahren niemand mehr wohnen, dachte ich noch, doch kaum kam mir der Gedanke, führte ich ihn selbst ad absurdum. Bei genauerem Hinsehen unterschied sich das Haus nämlich keinesfalls von all den anderen, die unsere Straße säumten, tatsächlich waren die Gebäude allesamt sauber und frisch gestrichen, das Holz mit wohl riechendenÖlen eingelassen, glänzende Fensterscheiben reflektierten die Sonne, und kaum trat man näher, erkannte man darin sein staunendes Spiegelbild.
    Der Nachbar reichte mir einen Spaten und zog mich in eine der Ecken des Gartens, dort wucherte das Unkraut mannshoch, ich verschwand darin wie ein Stück Zucker im Magen einer aufdringlich gewordenen Ziege. Ich musste bei dem Gedanken sogar lächeln und hielt mich einen Moment lang für einen durchaus begabten Dichter. Der Nachbar deutete auf einen großen Wildrosenstrauch, schon mehrmals hätte er ihn abgeschnitten, doch triebe er im Frühjahr jedes Mal aus, ich solle ihn samt seinen Wurzeln ausgraben und aus dem Garten entfernen. Dann würde auch das Unkraut verschwinden, er wolle keinen verkommenen, wild wuchernden Garten, was sollen schließlich die Nachbarn und Verwandten denken. Danach verschwand er im Haus, und eine Zeit lang hörte ich es dort hämmern und schleifen, ich selbst packte den Spaten und begann mein Werk, es sollte allerdings Tage dauern, bis der Graben um den Strauch tief genug war, bis ich das Gefühl hatte, jeder einzelnen sich ins Erdreich flüchtenden Wurzel Herr geworden zu sein.
    Später zerrte ich den Rosenstrauch aus dem Garten des Nachbarn, er erinnerte mich an einen der Riesenkalmare, die ich unlängst im Fernsehen gesehen hatte und die manchmal an ferne Küsten gespült wurden, um dort elendig (von ihrem eigenen Körpergewicht erdrückt) zu verenden. Die blasser werdenden Blüten glichen ihren tellergroßen Augen, und das meterlange Wurzelwerk ließ mich an ihre Fangarme denken, die sich in den Tiefen um somanches unvorsichtige Beutetier schlangen. Die «leichte Beute» des Wildrosenstrauches war die ihn umgebende Erde gewesen, nunmehr jedoch lag er in voller Größe im Wind, ein leichtes Spiel für die Pilze und Bakterien, die von der Luft und den darin umherwehenden
Partikeln
übertragen wurden, die man niemals spürte auf der trockener werdenden Haut.
    Manchmal warf ich mich im Wald auf den Boden, ohne Reue oder einen ersichtlichen Grund, und wäre in diesem Augenblick die Sonne vom Himmel gefallen, ich hätte nicht einmal die Augen geschlossen. Und wenn ich irgendwo ein Reh (vielleicht war es auch nur ein Dachs?) zu erkennen glaubte, nahm ich mir vor, es zu küssen, auf die feuchte Schnauze, ich hielt es nur zu gern für einen alten, durchaus lieben Verwandten.
    Die Sonne sank schnell, doch sie fiel nicht (auch kein Straucheln oder Schlingern), es wäre eine Farce gewesen, so zu tun, als sei nichts Schlimmes passiert, all das verbrannte Fleisch einzusammeln, das unweigerlich angefallen wäre, darauf hätte bestimmt nicht einmal der Onkel Lust. Mein Kopf war bis zum Bersten voll mit alten Gedanken, solchen, die ich vielleicht erst als Erwachsener haben sollte, die mir

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