Brenntage - Roman
meine Muskulatur gestärkt, keiner in der Siedlung wollte leichtfertig mit mir Streit beginnen (doch davon erfuhr ich erst später).
Manchmal saß ich mit dem Onkel am Küchentisch, gemeinsam nahmen wir das Frühstück ein, und plötzlich unterhielten wir uns über die Nachbarn, ihre Frauen und Kinder, über die Art, wie sie sprachen und was sie wohl alles am Körper trugen. Die Männer hatten augenscheinlich Taschenmesser und Tabak in ihren Taschen, die Kinder Süßigkeiten und bunte Glasperlen, die Frauen etwas Rouge und vielleicht die eine oder andere spitze Nadel, mit der sie einem jeden (zur Not) die Augen ausstechen konnten.
Deine Tante jedenfalls hätte es fertiggebracht,
sagte der Onkel, und er schien darüber genau Bescheid zu wissen.
Wenn er bei guter Laune war, hielt er mir seinen Arm hin, ich solle doch versuchen, ihn über den Tisch zu ziehen … Und sollte es gelingen, würde er mir das Haus überschreiben und mir fortan die Wahl lassen, was zu tun wäre und was nicht. Ich mühte mich redlich, viele Jahre lang nahm ich all meine Kraft (die durchaus beträchtlich war) zusammen, ich zog und zerrte am Onkel, doch war er keinen Zentimeter zu bewegen. Er lachte und schnitt allerlei Grimassen, selbst mich brachte er damit zum Lächeln (dabei war mir gar nicht danach), ich wollte unbedingt gewinnen und neue Freiheiten erlangen.
Es mehrten sich die Tage und Nächte, die mir sehr deutlich vor Augen führten, dass ich im Grunde genommen ein Gefangener der Siedlung war … dass ich, würde ich mein ganzes Leben an diesem Ort fristen müssen, wohl niemals in Erfahrung bringen würde, was es mit der Welt auf sich hat. Oft schämte ich mich auch, so etwas zu denken, wo es mir doch an nichts mangelte, und ein anderer Junge wäre gewiss froh mit dem gewesen, was ich so leichtfertig als Last und Mühsal abtat. Ich wünschte mir sogar innigst, dass die Soldaten die jungen Männer aus unserer Siedlung schlichtweg rekrutierten, ich könnte dann nämlich in irgendeinen Krieg ziehen, der einen unweigerlich von den Stätten seiner Kindheit fortführt.
Im Krieg ist alles erlaubt, man darf vergessen, wer man ist, wer man war, nicht einmal an den Onkel bräuchte ich noch zu denken, einzig und allein mein Überleben sichern und den Sieg vor Augen zu haben, das wäre die hehre Aufgabe
… So lauteten meine geheimsten Gedanken.
Ich verstand plötzlich, warum so mancher mit Begeisterung in einen Krieg gezogen war, der fanatische Eifer, sich in Gefechtendurchzusetzen, wobei es vielleicht ein erstes und einziges Privileg durch und durch gescheiterter Existenzen war … Gefangener ihrer Frauen und Kinder, der Häuser und Kredite, der Tanten und Verwandten, der vielen Träume und Ideen, die niemals den Kopf verließen, um tatsächlich Gestalt anzunehmen. In den Windungen des Kopfes lagen immer allerlei Schätze verborgen, man müsste sie nur zu heben wissen, und schon ließe sich einem dahinplätschernden Leben eine neue Richtung aufzwingen.
Viel zu oft lag ich vor unserem Haus, sah dem Onkel zu, der an allerlei Werkstücken schraubte, dann und wann ließ er mich etwas aus dem Keller holen, scheuchte mich in den Wald, um frisches Quellwasser zu holen, er trank niemals aus der rostigen Wasserleitung. Ich dachte darüber nach, mit wem und worum ich Krieg führen könnte, allerlei Kriegserklärungen hatte ich damals parat, notierte sie auf dem Umschlag eines alten Buches, gelb und verblichen waren die übrigen Seiten und erzählten von einer langen, niemals endenden Reise. Eigentlich gab es kaum etwas, weshalb man sich nicht den Schädel einschlagen sollte … das gelbe Fahrrad des Nachbarjungen, der schiefe Blick des Bäckers, die vorlauten Vögel, die Wiederholungen im Fernsehen, die unbedachten Äußerungen der entgegenkommenden Verwandtschaft, die Siedlung als solche und ich.
Ich erklärte mir schließlich selbst den Krieg, weil ich es für den einfachsten Weg hielt, Erfahrungen zu sammeln, fand jedoch schon bald die Auseinandersetzung (mit mir) überaus ermüdend … Der Krieg durfte keine wie auch immer geartete Denkleistung darstellen, er musste offen zur Schaugetragen werden, um sich physisch mit all der ihm innewohnenden Zerstörungskraft entfalten zu können. Die Verinnerlichung und somit Archivierung eines Konflikts konnte nur in einem Fiasko enden … Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle waren die Folge, ich kann es bezeugen.
Bald schon lag ich mit den unterschiedlichsten Kindern im Krieg, wir trafen uns an zuvor
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