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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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bieten, sich zu entfalten … Bis die Soldaten irgendwann über das Land fegten, um sich alles einzuverleiben, und die Welt unsere Anwesenheit vergaß. Man sprengte uns ab, die Brücken über die große Schlucht gingen in Flammen auf, und die Berge rächten sich, nachdem man viel zu lange in ihren Eingeweiden herumgestochert hatte. Zuerst verschwanden die Bergseen, und später verlor sich alle Hoffnung, die Zeit blieb stehen, und wir lebten wie Geister in einer leer gefegten Landschaft, die Siedlung, die doch keine Siedler enthält,
lachte die alte Nachbarin, die danach nie wieder ein Wort mit mir sprach.
    Mutter hätte bestimmt gewusst, was ich ihr hätte antworten sollen, doch galt es längst, allein (und auf eigene Faust) der Welt zu begegnen, ganz egal, wie klein und unscheinbar mir diese in der Nähe unserer Siedlung auch erscheinen mochte, ich musste allein die richtigen Antworten finden. Ich erinnere mich, wie die Tante früher zu meinem Onkel gesagt hatte, dass hier alle unter einem
Sahnehäubchen
(Käseglocke?) leben, doch gewiss meinte sie die vielen Wolken, die oft wochenlang reglos über unserem Landstrich zu schweben schienen. Wir Kinder legten uns manchmal spontan ins Gras, um ihnen zuzuschauen … Tatsächlich glichen viele übergroßen Sahnehäubchen, einige lieferten sich sogar wilde Verfolgungsjagden, bis sie irgendwann doch miteinander kollidierten.
    So ist das auch, bevor Menschen geboren werden,
sagte eines der älteren Mädchen,
die Vorstellungen und Wünsche beider Geschlechter prallen aufeinander, und es entsteht ein Drittes.
Dann wieder glichen die Wolkenformationen wild gewordenen Büffelherden, Panzern oder weißen Löchern (ja doch!), die einem den Kopf leer saugten, und zurück blieb ein schelmisches Knistern.

IX. Junge Bäume

 
    Angeblich konnte man aus den Wolken sogar die Zukunft ableiten, doch das behaupteten manche in der Siedlung wohl nur deshalb, um anderen ihre Zuversicht zu rauben. Die Wolken verhießen (interessanterweise) nie etwas Gutes, sie würden dunklen Regen bringen (hieß es immer wieder), dieser würde das Land unterspülen und das saubere Wasser der Brunnen mit allerlei Schmutz verunreinigen und die Haut röten und später alles verbrennen, die feinen Härchen und Hautrillen und die darauf friedlich lebenden Pigmentflecken. Man konnte in den Wolken alles erkennen, eine Schar Gänse, ein Rudel Wölfe, Totenköpfe oder feingliedrige Gesichtszüge, ich meine, sollte man den Wolken tatsächlich die Zukunft abschwatzen können, dann verhießen sie alles und zugleich doch nichts. Alles, was wir hätten sein wollen (und sollen), aber niemals waren …
    Es kam vor, dass wir im Wald mancherlei Entdeckung machten, wir konnten es kaum erwarten, anderen in der Siedlung davon zu erzählen … wie einige von uns Kindern auf Bunkeranlangen stießen, die längst den Dachsen und Füchsen als Zuhause dienten, wie wir auf die höchsten Bäume kletterten und erkannten, dass viele ihrer Wipfel mutwillig gekappt worden waren, wie wir Flugzeugwracks entdeckten (einige jüngere Kinder, die manche Silben noch nicht richtig aussprechen konnten, quiekten etwas von
Fluchzeugen
), die sich tief in den Waldboden gegraben hatten, Urgewalten, die sich keiner von uns so recht vorstellen konnte. Wie wir einmal zu einem Felsen kamen und eine krakelige Inschrift vorfanden …
alle, die herrschen wollten, zerfielen zu Staub.
    Jemand muss sie mit einem Stück Blech (oder Ähnlichem) eingeritzt haben, ich konnte mir gut vorstellen, wie er dabeischwitzte und fluchte (bei dem Stein handelte es sich um Granit), was aber danach wohl geschehen war? Natürlich untersuchten wir die rostigen Flugzeuge mit aller gebotenen Sorgfalt, die Kleinsten dienten als Vorhut, wo sie doch durch die schmalsten Löcher und Ritzen passten, sie zwängten sich in die ausgehöhlten Gerippe und brachten mancherlei mit … löchrige Uniformen, Flugschreiber, alte Maschinenpistolen, Erste-Hilfe-Koffer oder Tierknochen. Im Laufe der Jahre hatten sich viele Lebewesen dorthin zurückgezogen, zwischen verdrehten Metallträgern und abgenagten Kabeltrommeln, waren sie gestorben,
verendet,
nannte es der Onkel an manchen Tagen,
endlich allein und am endgültigen Bestimmungsort angelangt
. Sie betteten ihre Schädel, streckten die Glieder, und eine Weile noch zuckten die Nervenstränge, sie entließen das Leben dorthin, wohin Fleisch und Fell niemals gelangen würden.
    Wir verbrachten Wochen in der Nähe der ausgebrannten Maschinen, stellten

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