Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
sie die Bewegungen an urzeitliche Jäger, unsagbar langsam pirschten sich diese an ihre Opfer heran, bevor sie alles auf eine Karte setzten.
    Nach und nach gaben die meisten auf (oder verloren das Interesse), doch wer bis zuletzt durchhielt, durfte sich einen Tag lang Neil Armstrong nennen,
angeblich der erste Mensch auf dem Mond,
lachte der Onkel hämisch.
Der Mond ist kein Spielball für uns Menschen,
sagte er, und damit war das Ganze vom Tisch, andere Argumente ließ er nicht gelten.
    Ich weiß noch genau, wie einmal einer in der Siedlung damit prahlte, Mädchen mögen es, im Mondlicht geküsst zu werden, doch habe ich nie eine getroffen, die dem beipflichten wollte. Ein anderer meinte, Mädchen würden alles tun, wenn man sie geschickt um den Finger zu wickeln wusste, bunte Halstücher und Täschchen und
Glitzerstaub
(Make-up), damit könne man sie angeblich umstimmen. Plötzlich stellte ich mir vor, wie Soldaten ihre Gewehre auf ein Mädchen richten und heiser schnaufen, bestimmt würde es ihnen auch ohne Glitzerstaub alles erzählen. Dass der Krieg bald vorbei sein werde und die Frauen zu Hause treu geblieben waren, dass die stattlichen Kerle Freundschaften geschlossen hätten, die ein Leben lang halten würden, dass alle überlebten, dass Himbeerlippen nach wie vor nach Himbeeren schmecken und der Waldboden bestimmt nicht nach Moder riecht.
    Unlängst beobachtete ich Soldaten, die aufgebracht an der Felskante der großen Schlucht standen, sie gestikuliertenwild, und einige feuerten ihre Gewehre ab, sie versuchten, die fernen Bäume auf der anderen Seite zu treffen. Kaum hatten sie ihre Läufe abgeschossen, lauschten sie angestrengt … Bestimmt hofften sie, die Einschläge der Kugeln zu vernehmen, splitterndes Holz und ein dumpfes Pochen (als würde jemand gegen eine verschlossene Tür hämmern), vielleicht hielten sie auch nur Ausschau nach aufgeschreckten Vögeln, doch drüben blieb es still, alles unabänderlich und reglos wie in einer Gruft. Daraufhin versuchten einige Soldaten, sich abzuseilen, sie banden Stricke an den nahen Bäumen fest und kletterten nach unten, vor Anstrengung pochten die Adern auf ihrer Stirn. Doch offensichtlich reichte keines ihrer Seile bis zum Boden der Schlucht, den Soldaten blieb also nichts anderes übrig, als wieder nach oben zu klettern. Sie tauchten erneut an der Schluchtkante auf, hochrote Köpfe, die sich in wüsten Flüchen und unheilvollen Gesten entluden.
    Bestimmt war ich einer der wenigen Auserwählten, die jemals den Boden der Schlucht betreten hatten, nur mithilfe des Onkels gelang so manches, wovon man lange Zeit nicht einmal zu träumen wagte. Ich selbst fand niemals wieder jenen Steilhang, den mir der Onkel damals gezeigt hatte und auf dem er mich bis zum Grund der Schlucht hinabsteigen ließ … Noch einmal nachfragen wollte ich allerdings nicht. Schließlich wusste ich, möglicherweise gab es hier oben recht wenig, dort unten jedoch schon gar nichts, ich konnte mich damals mit eigenen Augen davon überzeugen. Warum mir nie die Idee kam, auf der anderen Seite der Schlucht emporklettern zu wollen, ich wusste es nicht. Die Soldaten tauchten bald im Wald unter, sie hinterließen Patronenhülsen und Pulverrauch,
wehe dem, der ihnen nunmehr
vor die Flinte läuft,
dachte ich noch, während ich mich vorsichtig auf den Heimweg machte.
    Die Wälder in der Nähe unserer Siedlung warfen viele Fragen auf … Oft lagen wir Kinder unter den Bäumen und schauten den Bächen und Rinnsalen zu, die sich ihren Weg durchs Erdreich bahnten, sie schwemmten Zweige und Blätter mit sich, die so angeblich bis zum Meer gelangten. Wir konnten uns gar nicht vorstellen, dass unsere Bäche und Flüsse in ein Meer münden und wo genau sich dieses befinden sollte, eine Reise ans Meer war jedoch insgeheim ein Traum von uns allen. Manchmal warfen wir
Flaschenpost
ins Wasser, oft genug blieb diese allerdings schon bei der nächsten Biegung hängen, dass sie jemals das Meer erreichen würde, daran glaubte niemand ernsthaft.
    Insofern gab sich auch keiner wirklich Mühe, eine Botschaft zu verfassen, die es wert gewesen wäre, in fernen Ländern verlesen zu werden. Meistens blieben die Flaschen sogar leer, und wir begnügten uns damit, diese
Leere
als Botschaft zu betrachten (unlängst fanden ein paar Astronomen eine rätselhafte Leere einer Milliarde Lichtjahre Ausdehnung, wenn das nicht Inspiration genug war). Ein leeres Haus, eine verlassene Landschaft, darüber konnte man lange nachdenken, und

Weitere Kostenlose Bücher