Brenntage - Roman
geriet darüber so in Panik, dass es sich an der erstbesten steilen Böschung (unweit der großen Schlucht) den Hals brach.
Wir umkreisten verwundert das sterbende Tier, spiegelten uns in seinen Augen wider, es röchelte und zuckte unbeholfen mit den Läufen, das Fell im Nackenbereich hatte sich mit Blut vollgesogen, und es stank nach Urin und frischer Losung. Einer der jüngeren Burschen trat nach seiner Schnauze, und eines der Mädchen zog an seinen Ohren und heulte dabei wie ein Wolfsjunges. Ich stand neben ihr und spürte, wie Schauer um Schauer meinen Rücken herabliefen, es war etwas völlig anderes, wenn der Onkel ein Tier tötete, er kannte kein Bedauern und empfand bestimmt keine Lust dabei, während wir erregt und voller Jagdfieber waren.
Noch nie hatten wir (bis zum damaligen Zeitpunkt) ein größeres Tier getötet, ihm sein Fell abgezogen und den Leichnam liegen gelassen,
zur Abschreckung
, sagte irgendwer, und ich stellte mir vor, wie sich andere Rehe näherten und den verloren gegangenen Gefährten nunmehr tot vorfanden. Bestimmt würden sie ihre Häupter neigen und an denverwesenden Resten schnuppern, ihre Nackenhaare würden sich sträuben, und bald schon verschwänden sie im Wald, ängstlich im Streulicht.
Ich wusste, es gab Kulturen, die getötete Tiere beweinten, die sie ehrten und daran glaubten, dass ihre Kraft nunmehr auf sie übergehen würde und sie dann zu noch viel größeren Taten fähig wären. Es war kaum verwunderlich, dass sich große Jäger die Kraft eines Bären, Ausdauer eines Hirsches oder Verschlagenheit eines Wolfes wünschten, sie erzogen sogar ihre Kinder danach. Hätte sich dieses irgendwann bewahrheitet, ich glaube, wir wären bereit gewesen, alles zu töten, was uns über den Weg lief, Mann und Maus eingeschlossen. Vielleicht streiften all die Geister nur deshalb durch die Wälder, sie waren getötet worden und mussten nun irgendwem auf ewige Zeiten dienen. Die Wälder mit ihren stillen Ecken und raschelnden Zweigen (Seismografen einer empfindsameren Welt) waren ein idealer Zufluchtsort, zwischen den Bäumen hinterließ so ein Geist doch kaum irgendwelche Spuren.
Manchmal verharrten wir im Unterholz, um diese Fährten aufzuspüren, alle saßen reglos in der Nähe bekannter Wildwechsel, wir verboten uns das Zwinkern und Atmen, nur das Rauschen des Blutes im Kopf trübte die Wahrnehmung. Ab und an hörten wir ein Knacken und Knistern, unsere Augen spähten ins Dämmerlicht, wir spürten den feuchten Nebel und glaubten an die schärfer werdenden Sinne. Allerlei war zu sehen (und zu hören) … Schemen in den Nebelschwaden, Windhosen und Leuchtkäfer und deren Schatten in der Dämmerung, Schleifgeräusche und Kriecher, Schleicher und Geister, wir lauschten ehrfürchtig ihrenKlageliedern. Dabei fassten wir einander an den Händen, waren bereit, sofort loszulaufen, Breschen zu schlagen, einer hinter dem anderen im Windschatten, klitschnasse Flüchtende, die erst in der Siedlung zur Ruhe kommen würden.
Mir fiel ein, was ich wohl täte, würde mir Mutter unversehens im Wald begegnen … Wie ich auf sie zugehe und mir dabei ausmale, sie zu umarmen, an ihrem Hals zu lecken, wo doch Mutter so gut schmeckt. Gewiss würde sie mich tadeln, dass ich so spät am Abend nichts im Wald verloren hätte, vielleicht würde sie den Onkel (ihren Bruder) verfluchen, der all das zuließ. Ich schloss kurz meine Augen, und als ich sie erneut öffnete, war alle Vorstellung von Mutter verschwunden, ich kauerte im Wald und hörte die anderen leise atmen und kichern, ein paar Nebelkrähen räusperten sich irgendwo hoch oben im Schutz des Baumgeästs. Wir schlenderten schließlich los, einige stolperten und klagten, dass es viel zu schnell dunkel geworden war, andere hatten den Kopf immer noch voller Flausen, sie fingen Leuchtkäfer und klemmten sie an ihrer Kleidung fest, wenn sie sich schnell in der Dunkelheit bewegten, hinterließen sie leuchtende Spuren.
Manchmal (wenn die Sterne und der Mond am Himmel erschienen) spielten wir
Mondlandung
… Auf ein geheimes Kommando hin verlangsamten alle ihre Bewegungen, als würden wir uns plötzlich im All befinden (und schon bald die ersten Schritte auf den Mond setzen). Wir fühlten uns schwerelos, drehten unerträglich langsam die Köpfe (oder hoben die Hände), es gab nur noch ein Leben in Zeitlupe, jenseits der Schwerkraft. Befremdlich mussten wir gewirkthaben, die tierischen Augenpaare, die uns beobachteten, knurrten und pfiffen, vielleicht erinnerten
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