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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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es regte unsere Fantasie an, viele Schauergeschichten rankten sich schließlich um im Nichts verlustig gegangene Menschen, ihre Sprachen und Träume und Sehnsüchte.
    Einmal sah ich im Fernsehen (der Onkel war längst eingeschlafen), wie ein großes Schiff sank … Es hatte versucht, sich seinen Weg durch die Weltmeere zu bahnen, voneinem Kontinent zum nächsten war es unterwegs gewesen, bis es eine Sturmfront schließlich zwang, alles auf- und abzugeben, bis es eisige Brecher zum Kentern brachten und sich seine Ladung überall in den Wellen verteilte. Abermillionen von bunten Plastikenten, die wohl ihr Dasein in Badewannen hätten fristen sollen, trieben fortan durch die Meere, sie schwammen mit der Strömung durch die ganze Welt, und unzählige Fernsehteams filmten die Entenarmada von Hubschraubern aus, die körnigen Bilder erreichten sogar unsere Siedlung.
    Die Welt dort draußen war uns fern und fremd geworden, sodass wir den Fernsehbildern oft nur schwer Glauben schenkten, sie hatten schließlich nichts mit uns zu tun und ließen nur einen Schluss zu … Sie zeigten nicht die Wahrheit. Andere Kinder waren sogar der Meinung, ich hätte die Entengeschichte nur erfunden, um mich wichtig zu machen. Einige zweifelten tatsächlich die Existenz von Plastikenten an, wo es doch in der Siedlung überall echte Enten gab und sich keiner vorstellen konnte, warum man ein Plastikding einem echten Federvieh hätte vorziehen sollen … Kurzum, viele hielten mich für einen Lügner.

X. Die Siedlung

 
    Mir fielen nach und nach die seltsamsten Dinge auf … Dass es in unserer Siedlung keine echten Geschäfte gab, jedenfalls nicht wie an den Orten, die ich aus dem Fernsehen kannte. Überall, in jedem Haus und Verschlag, konnte man mit etwas Glück erstehen, was man wollte (und suchte), die einen boten Parfüm an und andere Waschpulver, hier gab es Süßigkeiten und dort etwas zum Anziehen, hinter dem Teich fand sich sogar ein Haus voller Eisenwaren, und bei unseren Nachbarn roch es mitunter wie in einer Backstube. Einiges konnte man eintauschen, manches musste man mit Goldmünzen bezahlen, die überall in der Siedlung kursierten, sie waren schon bei den Minenarbeitern und Soldaten ein beliebtes Zahlungsmittel gewesen, erfuhr ich.
Man braucht viel weniger, als man denkt,
sagte der Onkel, immer dann, wenn er knapp bei Kasse war und wir uns einige Wochen oder Monate auf eigene Faust versorgen mussten. Ein paarmal beschlich mich das Gefühl, dass wir gar nicht richtig aßen, wir kauten bloß an der Brotrinde oder den Fleischstücken herum und ließen uns nichts anmerken. Irgendwann fiel mir auf, dass der Onkel höchstens versehentlich den einen oder anderen Bissen schluckte, mag sein, dass er mir auch nur einen Gefallen tun wollte, alles sollte doch so sein wie früher, friedlich und schön.
    Im Wald wiederum, hier ging es richtig zur Sache, wir Kinder nahmen die Farben der Steine und Bäume an, als hätten wir uns mit irgendwelchen Salben eingerieben, die alles (und nichts) reflektierten, um sich besser an so ein Leben in der Wildnis anzupassen. Vielleicht ähnelten wir darin den Soldaten mit ihren Tarnfarben, die doch auch danach trachteten (seit jeher), mit der sie umgebenden Landschaft zu verschmelzen. Sie, die (aus unserer Perspektive) schwankendenund vergessenen Riesen, denen wir im Wald mit unseren flinken Beinen weit überlegen waren.
    Oft genug hatten wir allerlei seltsame Ideen … Lange Zeit stellten wir Überlegungen an, was es denn für eine Welt wäre, wenn man alle Bäume des Waldes ausreißen und sie verkehrt in den Boden rammen würde, die Kronen voran (deren Blätter und Nadeln schon bald im Boden verfaulten). Ihre Wurzeln würden in den Himmel ragen und miteinander verwachsen, bald schon würde kein Sonnenlicht mehr zur Erde gelangen, und nur die Vögel hätten ihre helle Freude daran, wo sie sich doch vor Nistplätzen nicht mehr retten konnten. Wir stellten uns Lebewesen vor, die sich im Dunkeln wohlfühlten, sie hatten eine blasse Haut und erkrankten niemals an Hautkrebs (was, wie mir zu Ohren kam, in der Sonne schon passieren konnte). Sie rochen und hörten besser als jedes uns bekannte Tier und ernährten sich vorzugsweise von Pilzen und zu Boden gefallenen «Nestlingen». Nur das Feuer fürchteten sie, denn es vermochte, ihren Lebensraum zu zerstören, sie wären fortan auch schutzlos den Schnäbelhieben besorgter Vogeleltern ausgeliefert, die nichts von all dem vergaßen, was sie so lange Zeit erdulden

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