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Brenntage - Roman

Brenntage - Roman

Titel: Brenntage - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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unsererSiedlung
, sagte der Onkel schließlich.
Und nur die wenigsten fanden sich tatsächlich unter Tag zurecht, die meisten verloren schnell jegliches Zeit- und Raumgefühl, viele ließen sich dazu verleiten, länger zu verweilen, als ihnen lieb sein konnte.
    Die Minengesellschaften zahlten gern hohe Prämien, wenn man das Tageslicht mied und sich ganz den Mörsern und Meißeln, Grubenhunden und Kettenzügen verschrieb. Viele der Arbeiter ließen sich gern verführen, und nach einigen Monaten waren sie kaum noch wiederzuerkennen, Besessene und von Gier getriebene Geschöpfe, Gestalten, die schon bald im Tageslicht Schmerz empfanden, die Sonne verbrannte ihre Haut, und an ihren Armen und Beinen wucherten weiße Flechten,
wir nannten sie «Mehlfänger»,
sagte der Onkel,
weil sie allen Staub der Minen zu absorbieren schienen.
    Kaum liefen sie an einem vorüber, zogen sie beißende Staubschlieren hinter sich her, uns stockte der Atem, denn es war beileibe kein Leichtes, tief im Berg Luft zu holen, und sogar in den gut durchlüfteten Gängen konnte man sich des Gefühls nicht erwehren, von zentnerschweren Lasten in Grund und Boden gedrückt zu werden,
befand der Onkel. Die morscher werdenden Knochen zerbrachen zu Hunderten, die Vorarbeiter sprachen hämisch von Ermüdungsbrüchen, doch es war die Last der Berge, die ihren Tribut forderte, selbst mir schien das einzuleuchten.
    Ich erinnerte mich, wie ich mich einst (als ich noch klein war) in einem der Schränke meines Onkels versteckte, ich kroch dort bei seinen alten Sachen unter und verharrte, es war finster, und das Atmen fiel mir zusehends schwerer. Damals lehnte ich noch das Wort
Sauerstoff
ab, da ich fand, dass dieses unsichtbare Etwas keinesfalls
sauer
schmeckte,
Süßstoff
hätte man es nennen müssen, wie sonst ließe sich das Gefühl besser beschreiben, endlich nach Luft schnappen zu dürfen. Ich ahnte schon immer, dass die Luft ein wenig nach Zuckerwatte schmeckte, in der Siedlung kannte ich solche Köstlichkeiten allerdings nur aus dem Fernsehen und konnte daher diese Behauptung nie selbst überprüfen.
    Wir trieben unsere Stollen durch einen ganzen Landstrich
, sagte der Onkel und holte mich in seine Wirklichkeit zurück,
jung und hoffnungsfroh waren wir und hatten nur Augen für den Fortschritt. Immer mehr Menschen kamen zu uns, um ihr Glück zu suchen, die Siedlung war schon bald die größte Stadt weit und breit.
Später haben die Stollen viele Häuser einfach verschluckt, als man sich unter der Stadt durch die ertragreichen Erdschichten grub, als es längst bergab ging mit einer ganzen Industrie und man verzweifelt nach neuen Abbaustätten suchte. Der Boden gab überall nach, Wälder und Hügel verschwanden, weil man ihnen Wasser und
Sockel
abgrub, Flüsse leerten sich und versickerten in den aufgelassenen Gruben, viele Menschen verschwanden von einem Tag auf den anderen, sie nahmen die letzten Züge oder verloren sich in Felsspalten,
zurück blieb, was wir keinesfalls benötigten, alte Kleidung und Ausrüstung und Flachmänner,
meinte der Onkel.
    Etliche, die keine Arbeit mehr fanden, ließen sich zu Soldaten
umrüsten
, sie zogen bald von irgendeinem Schlachtfeld zum nächsten und stritten sich um die verbliebenen Ressourcen.
Uns aber vergaß die Welt und wir schon bald sie,
sagte der Onkel,
manchmal gingen wir noch in die Minen, um Kohle für den Winter einzubunkern, ein kümmerlicher Rest war von den alten Lagerstätten verblieben, es sollte jedoch in der Regel für einen Winter langen. Es war gefährlich geworden, in die Stollen zu klettern,die Berge und Steilwände, Täler und ganze Landstriche verschoben sich, die unersättliche Schwerindustrie hatte Felsen und Erdreich in Schwingungen versetzt, und diese taten, was immer sie wollten, und wir waren zu wenige, um sie im Zaum zu halten. Da warst du noch gar nicht geboren,
sagte der Onkel.
    Wenn man nach Steinkohle grub, brachen die Stollen regelmäßig ein … Die
Schläger
(Männer, die mit einfachen Meißeln die Kohle aus dem Berg schlugen) mussten an Seilen befestigt werden, und kräftige
Springer
(Männer, die zurückwichen, wenn der Berg nachgab) hielten sie fest und zogen nach Leibeskräften, wenn die Schläger von «spontanen» Erdrutschen verschüttet wurden. Manchmal konnten sie einen geschundenen (aber noch lebenden) Körper ins Freie zerren, oft genug erstickten die Schläger auch unter den dunklen und unersättlichen Kohlebergen.
    Es gab nur wenige Männer, die den Mut hatten, sich an

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