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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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plausiblen Eindruck und entsprach den Informationen, die er hatte. Er legte ihn beiseite. Es folgten kürzere Anträge – sechs, acht Seiten lange Formulare und die Bescheide dazu – aus den letzten Jahren. »Neuanschluss an die betriebstechnisch mittelformatige Statik-Solaranlage der Glénan«, »Neubau eines bedarfsadäquaten, selbstständigen Sickergrubensystems für gastronomische Zwecke«. Alles schlüssig und sinnfällig.
    Dupin kam zu den ersten Anträgen, die Solenn noch gemeinsam mit ihrem Mann gestellt hatte. Die Eröffnung des Quatre Vents hatte für das damals junge Glück und dessen große Träume offenkundig eine beeindruckende Anzahl von Einzel- und Unteranträgen bedeutet. Die »innerräumliche bauliche Neugestaltung der Restauration Les Quatre Vents (Bar/Café), ehemals Le Sac de Noeuds«, » Umbenennung der Restauration (Bar/Café) Sac de Noeuds in Quatre Vents …«. Unfassbar. Des Weiteren Anträge zum Tauchzentrum »Internationale Assoziation für die Freunde und Förderer des Tauchsports der Inselgruppe Les Glénan«. Auch hier: eine beachtliche Anzahl. Dupin ging sie kurz durch. Auch sie entsprachen seinen groben Informationen. Alles schien in bester Ordnung.
    Dupin stand etwas frustriert auf. Erst jetzt nahm er wahr, dass die Amtsmitarbeiterin immer noch im Türrahmen stand. Sie blickte ihn ausdruckslos an.
    »Madame, waren Sie es, die Madame Nuz die Mappe ausgehändigt hat?«
    »Oh ja, ich verwalte und führe die Akten des ganzen Archivs.«
    »Wissen Sie zufällig, warum Madame Nuz diese Unterlagen benötigte?«
    »Das ist eine Frage, die ich selbstverständlich nicht stelle. Weil ich sie nicht stellen muss. Jeder Bürger kann jederzeit Einblick in seine Akten nehmen. Und davon wird Gebrauch gemacht.«
    Sie formulierte es, als hielte sie es für die zentrale Errungenschaft des freien Bürgers. Dupin hätte gern etwas wie »Dafür also haben Zehntausende in der Revolution ihr Leben gegeben, für das freie Zugangsrecht auf ihre Akte?« gesagt. Immer, wenn er mit Ämtern und Verwaltung zu tun hatte, musste er an die Revolution denken.
    »Haben Sie zufällig gesehen, welches Dokument Madame Nuz gebraucht hat? Ich bitte Sie, sich genau zu erinnern. Und mir zu antworten.«
    Dupin hatte seinen klaren Befehlston angeschlagen.
    »Ich habe keinerlei Veranlassung, die Menschen zu bespitzeln«, parierte die Dame und schob dann eher kleinlaut, aber dennoch giftig hinterher:
    »Sie wird Angaben aus früheren Anträgen für das Ausfüllen einer Reihe von Formularen benötigt haben, die in Hinblick auf den beantragten Neubau noch fehlen – es stehen noch zwei aus. Obwohl das nur Kopien sind, geben wir sie nicht heraus. Man muss schon hierherkommen; es geht um wichtige Dinge.«
    Das ergab Sinn. Das würde erklären, warum Madame Nuz hierhergekommen war. Und die heiße Spur wäre augenblicklich erkaltet, die Idee, die er hatte: hinfällig.
    Dupin war aufgestanden und im Begriff, sich wortlos abzuwenden, als ihm etwas durch den Kopf ging, dem er eben keine Beachtung geschenkt hatte.
    »Kopien? Sie sagen, das seien Kopien?«
    »Oh ja, was denken Sie denn? Wir können doch nicht die Originale aushändigen, bei allem, was recht ist. Die Originale sind in unserem Archiv. Alles justiziable Dokumente!«
    Das Entsetzen war nicht gespielt.
    »Ich möchte die Originale sehen.«
    »Das ist ohne Genehmigung nicht möglich. Ich werde den Bürgermeister fragen müssen. So sind die Vorschriften. Da müssen wir sehr streng sein. Ausnahmslos.«
    Dupin fühlte, wie seine Gesichtsfarbe wechselte, unwillkürlich baute er seinen massiven Körper kerzengrade vor ihr auf. Sein Auftreten ließ keinen Zweifel daran, dass er im nächsten Augenblick platzen würde. Noch bevor Dupin laut werden konnte, presste sie mit dünner, aggressiver Stimme hervor:
    »Ich hole die Akte.«
    Sie verschwand mit verblüffender Geschwindigkeit.
    Dupin setzte sich wieder.
    Hatte er sich vertan? Er hatte gehofft, etwas Überraschendes zu finden, das Licht in den Fall brächte.
    »Bitte sehr.«
    Sie hatte ihm die Mappe mehr hingeknallt als hingelegt.
    »Ich hoffe, Sie sind sich dessen bewusst, dass Sie nun mit Orginalen umgehen, deren Beschädigung oder Verlust gravierende Folgen hätte.«
    Sie war zäh. So gern sich Dupin auf ein Wortscharmützel eingelassen hätte, er ließ es. Er musste sich konzentrieren.
    Er ging die Dokumente in derselben Reihenfolge durch wie eben. Rückwärts chronologisch. Sah sie sich eins nach dem anderen noch einmal akribisch

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