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Bretonische Brandung

Bretonische Brandung

Titel: Bretonische Brandung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Luc Bannalec
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an. Nach ein paar Dokumenten ging er dazu über, systematisch zwei Stapel zu bilden, einen mit dem Original und einen mit den Kopien. So konnte er vergleichen, ob es etwas Auffälliges, Irreguläres gab. Er fand keine Abweichungen. Wozu hätte man in den Kopien auch etwas ändern sollen?
    Er fand nichts, gar nichts. Inzwischen war er bei den Anträgen für das Tauchzentrum angelangt, am Anfang also. Linker Stapel, rechter Stapel. Noch ein Dokument. Er legte es nach links. Dupin stutzte. Wo war die Kopie? Im rechten Stapel fehlte ein Dokument. Nur bei den Originalen war es vorhanden. Hektisch suchte er nach der Überschrift. »Bau eines gemäß Verordnung ›16.BB.12/Finist.7‹ kompatiblen ordentlichen Hotelbetriebes auf Saint-Nicolas«, ein besonders dicker Antrag auf dünnem, verblichenem Papier. Datum: »28.5.2002«. Er blätterte ihn durch. »Kapazität/Anzahl der geplanten Zimmer des Hotelbetriebs: 88«. Das musste Teil der ersten großen Pläne gewesen sein, die Lefort damals gehabt hatte. Eindeutig. »Ein Hotelbetrieb«. Und kein kleiner. Dupin blätterte weiter, »Integrale Funktionalität einer Wassersportbasis und eines Freizeithafens im Sinne einer touristischen Nutzung/Integration bestehender Institutionen«. Das war die große Sache, um die es gegangen war. Dupins Blick fiel auf die letzte Seite. »Hauptantragsteller: Jacques Nuz«, dann eine schwer leserliche Unterschrift. Und: »Weitere Antragsteller im Sinne von §   GHF 17.3: Lucas Lefort, Yannig Konan, Charles Malraux – das musste der andere Beteiligte vom ›Festland‹ sein –, Kilian Tanguy, Devan Le Menn«.
    Dass am Anfang der Tourismuspläne Leforts noch andere an dem Projekt beteiligt gewesen waren, wusste Dupin. Zunächst hatten, wenn er das richtig verstanden hatte, mehrere junge, unternehmenslustige Leute gedacht, gemeinsam einen Traum zu verfolgen. Dann hatte sich herausgestellt, dass sie sehr unterschiedliche Träume träumten – und es war ein Streit entfacht, der sie für immer verfeindet hatte.
    So weit entsprach alles dem Bekannten. Aber der Antrag warf Fragen auf. Dupin war nicht sicher, ob es das war, was er gesucht hatte, und wenn ja, was es bedeutete. Bemerkenswert war auf alle Fälle eines: dass das Dokument in der zugänglichen Mappe fehlte. Wenn es nicht zufällig verschlampt worden war, dann war es entfernt worden, was einen gehörigen Aufwand bedeutete. Und: Warum war Jacques Nuz der Hauptantragsteller gewesen? Davon hatte nie jemand etwas gesagt. Alle hatten immer von Leforts Plänen gesprochen. Und zuletzt: Der Antrag war also doch tatsächlich eingereicht worden. Die Aussagen dazu waren die ganze Zeit widersprüchlich gewesen. Und sogar Kadeg hatte dazu nichts gefunden. Doch Kadeg hatte auch nur nach Anträgen unter Leforts Namen gesucht. So wie vermutlich alle anderen auch. Dupin blätterte zurück. Auf der ersten Seite fand er eine handschriftliche Bemerkung. Mit einem amtlichen Stempel vom 29. Juni 2002 versehen: »Antragsteller polizeilich verschollen«. Was bedeutete das – hatte man die Bearbeitung eingestellt? Das würde immerhin erklären, warum der Antrag nie »offiziell« geworden war. Warum alle dachten, es hätte ihn nie gegeben.
    Dupin stand auf. Er sah, dass der Amtsdrache auch dieses Mal die Tür bewacht und ihn mit genüsslichem Argwohn beobachtet hatte.
    »Wenn ein Antrag mehrere Antragsteller hat, wird der Vorgang dann nur in der Akte des Hauptantragstellers abgelegt?«
    »Früher ja. Das haben wir aber vor zwei Jahren umgestellt, nun liegen Kopien bei allen Antragstellern.«
    »Ich brauche die Akte. Ich nehme sie mit.«
    Dupin wusste, dass das für den Amtsdrachen der schlimmste Satz war, den ein menschliches Wesen auf dieser Erde aussprechen konnte.
    »Monsieur!«
    Sie hatte erkennbar größte Mühe, mit ihrer eigenen Empörung sprachlich Schritt zu halten.
    »Das – das sind unsere Originale! Es ist nicht einmal erlaubt, die Kopien mitzunehmen.«
    Sie pumpte sich noch weiter auf.
    »Das ist restlos ausgeschlossen. Das – das müssen Sie beantragen.«
    Dupin machte keine Anstalten zu antworten. Er ging schnurstracks an ihr vorbei. Sie bewegte sich abrupt, und Dupin war einen Moment lang darauf gefasst, dass sie versuchen würde, ihm die Mappe zu entreißen. Stattdessen drehte sie sich wie beim militärischen Exerzieren zackig auf der Stelle um und marschierte hinter ihm her. Durch die Tür. Den Gang entlang. Die Treppen hinunter. Vollkommen wortlos. Erst als sie im Erdgeschoss angekommen waren,

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