Brezeltango
sagte Katharina: »Tut mir leid. Aber mir ist gerade alles zu viel. Der Job, die Kinder …«
Vor einiger Zeit war Sabine, Katharinas Kollegin in der Böblinger Buchhandlung, schwanger geworden. Daraufhin hatte Katharina von ihrer Chefin das Angebot bekommen, ihre Arbeitszeit vertretungsweise aufzustocken. Weil nicht klar war, wie es für Frank bei IBM auf Dauer weitergehen würde, und sie das Einfamilienhäuschen in Gärtringen abzahlen mussten, hatte sie angenommen. Früher hatte Katharina an drei Vormittagen die Woche gearbeitet, jetzt kam ein ganzer Tag und jeder zweite Samstag dazu. Kein Wunder, dass sie sich zwischen Job, Haushalt und Nachwuchs zerfleischte, während Frank seine Aufgaben in der Familie klar definiert hatte: Er räumte die Spülmaschine aus, brachte den Müll raus und lieferte Klein-Salomon morgens vor der Arbeit im Kindergarten ab. Ich mischte mich nicht weiter ein. Was sollte ich als Kinderlose schon dazu sagen?
»Ich wollte heute Nachmittag mal kurz bei euch vorbeikommen. Ich brauche ein bisschen Hilfe von Lena.«
»Heute, sagst du?« Katharina zögerte einen winzigen Moment. »Das ist super! Ich bin nämlich zu einer Abstillparty eingeladen und wollte schon absagen, weil da nur kleine Kinder sind, und darauf hatte Lena keine Lust. Wenn es dir nichts ausmacht, lasse ich Salo auch zu Hause, er ist nicht ganz fit.« Sie klang schon viel vergnügter.
»Kein Problem. Gibst du mir mal eben Lena? Bis später dann.« Ich hörte Gemurmel.
»Hallo Lena, hier ist deine uralte Tante. Was machst du gerade?«
»Chillen.«
»Hör mal, ich brauche heute ein bisschen Hilfe von dir. Du hast mir doch neulich so ein paar super Zaubertricks vorgeführt. Würdest du mir ein, zwei Tricks beibringen?«
»Logisch«, sagte Lena. »Aber bist du dafür nicht zu ungeschickt?«
Prima, dass schon eine Achtjährige so eine tolle Meinung von mir hatte.
»Und warum willst du Zaubertricks lernen?«
»Ich habe ein Vorstellungsgespräch bei einer Werbeagentur. Da muss man immer so originell sein. Und weil auf der Einladung ein Zauberer abgebildet war, hab ich gedacht, ich führe einen Zaubertrick vor.«
Ich musste Lena nicht erklären, was ein Vorstellungsgespräch ist. Sie hatte in den Sommerferien in Böblingen an einer Spielstadt teilgenommen. Jeden Morgen mussten sich die Bewohner einen neuen Job suchen. Lena war die meiste Zeit Bürgermeisterin gewesen.
Erst hatte ich überlegt, eine Präsentation mit Beamer zu machen, aber Leon hatte mir abgeraten. Wenn bei Bosch ein Beamer eingesetzt wurde, fiel das Gerät, das noch zwei Minuten zuvor präzise funktioniert hatte, pünktlich zu Beginn der Präsentation aus. Daraufhin standen alle um das Gerät herum, drückten Knöpfe und erteilten sich gegenseitig gute Ratschläge. Das war zwar total kommunikativ, brachte den Beamer aber auch nicht zum Laufen.
Drei Stunden später klingelte ich an der Tür des Reihenhauses im Gärtringer Neubaugebiet. Nach zwei Sekunden stürzte Katharina heraus.
»Da bist du ja. Ich dachte, du kommst früher. Frank löst dich so gegen fünf ab.«
Für eine Abstillparty hatte sich Katharina ganz schön herausgeputzt. Ich hatte sie in letzter Zeit nur in Jeans und T-Shirt gesehen. Sicher gab es unter Müttern auch Konkurrenzdruck, trotz Job und Kindern wie aus dem Ei gepellt auszusehen! Wobei es eigentlich vollkommen wurscht war, was Katharina trug. Leider war die Schönheit in unserer Familie sehr ungleich verteilt. 99,9 Prozent waren bei meiner Schwester gelandet und 0,1 Prozent bei mir: meine braunen Augen.
Ich seufzte. »Du siehst umwerfend aus.«
Katharina wurde rot. »So ein Quatsch. Ich muss dann. Bis später!« Kurz darauf brauste sie mit ihrem kleinen Citroën um die Ecke.
Ich fand Lena in ihrem Zimmer. Sie baute aus dem Deckel des Zauberkastens gerade eine Zauberbühne auf. Salomon saß in der Ecke auf dem Teppichboden, war völlig in ein Spiel mit Duplo-Bausteinen versunken und würdigte mich keines Blickes.
Ich drückte Lena einen Kuss auf die Backe. »Alles klar, Große?«
Sie zuckte die Schultern. »Mama ist in letzter Zeit so nervig. Völlig uncool.«
»Weißt du, sie hat’s grad auch nicht so leicht. Sie arbeitet zu viel. Da musst du ein bisschen Geduld mit ihr haben.«
»Sie geht wegen jedem Mist gleich in die Luft. Voll übel!«
Ich setzte mich auf den Fußboden und Lena begann mit ihrer Vorstellung. Sie löste Knoten, machte drei Stück Schnur gleich lang und ließ Bällchen in Bechern verschwinden. Sie war sehr
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