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Brezeltango

Brezeltango

Titel: Brezeltango Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Kabatek
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würde ich Leon wiedersehen, und bis Sonntag ungetrübtes Paarglück genießen. Für Donnerstag hatte ich mir eigentlich vorgenommen, endlich die Werbeagentur von außen zu besichtigen, weil es aber so schrecklich schwül war, wollte ich nur kurz den Wetterbericht im Fernsehen angucken, ob vielleicht Gewitter drohten. Irgendwie war mein Finger dann auf der Fernbedienung ausgerutscht und ganz zufällig auf Nostalgie-TV gelandet, und da liefen die allerersten sechs Folgen von Miami Vice (270 Minuten). Danach wollte ich eigentlich ausschalten, blieb dann aber am Biene-Maja-Special kleben (Episode 1 bis 17). In der Mitte von Episode 16 bekam ich auf einmal schrecklichen Hunger.
    Plötzlich stand Lila in der Tür.
    »Hat die Zahnbehandlung nicht angeschlagen, dass du so früh nach Hause kommst?«, fragte ich.
    Lila gab keine Antwort. Stattdessen marschierte sie schnurstracks auf den Fernseher zu, zog den Stecker heraus, packte das alte Ding mit beiden Händen und ging in den Flur. Ich rannte hinter ihr her. Lila stopfte den Fernseher in den Putzschrank, schloss ab, hielt mir den Schlüssel vor die Nase und ließ ihn dann langsam und sehr demonstrativ in der Tasche ihres weiten Kleides verschwinden. Jetzt konnte ich nicht mehr fernsehen. Putzen auch nicht.
    »He, was soll das?«, fragte ich empört. »Ich will unbedingt wissen, wie Willie mit den kleinen Käfern klarkommt!«
    »Line, es ist achtzehn Uhr fünfundzwanzig!«
    »Ach«, sagte ich. »Kein Wunder, dass mir der Magen knurrt.«
    »Du hast sie doch nicht mehr alle! Guck dich doch nur an! Im Schlafhemd, ungewaschen, ungekämmt. Du bist schon keine Couch Potato mehr, sondern vermoderst auf dem Komposthaufen!«
    »Nun übertreibst du aber. Ich hab mit Karel Gott mitgesungen«, verteidigte ich mich. »Jedes Mal. Singen fordert sehr viel Körpereinsatz und ist gesund. Und diese Biene, die ich meine …«
    Lila baute sich mit verschränkten Armen vor dem Putzschrank auf. »Line, ich mach mir Sorgen. Wirkliche Sorgen. So geht’s nicht weiter! Wenn du keinen Job in einer Werbeagentur findest, dann hock dich wenigstens bei Lidl an die Kasse und gründe einen Betriebsrat! Dann vergeudest du nicht so deine Zeit!«
    Die darauffolgenden Verhandlungen waren zäh und kamen erst in Gang, als mir einfiel, dass ich ja am Wochenende sowieso die meiste Zeit bei Leon sein würde. Wir einigten uns darauf, den Fernseher bis einschließlich Sonntag unter Putzschrank-Quarantäne zu stellen.
    »Okay. Dann kannst du jetzt wenigstens den Schrank wieder aufschließen.«
    Lila schüttelte den Kopf.
    »Vertraust du mir etwa nicht?«, fragte ich entrüstet.
    »Nein.«
    »Tyrannin!«
    »Es ist nur zu deinem Besten.«
    »Und wenn ich plötzlich ganz dringend den Staubsauger brauche?«
    »Es ist für die Lebenserwartung des Staubsaugers sowieso besser, wenn du ihn nicht benutzt.«
    Da ich weder putzen noch fernsehen konnte, hatte ich mich nun endlich am frühen Freitag Nachmittag auf den Weg zu der Werbeagentur in Cannstatt gemacht. Sie lag nur ein paar Minuten entfernt vom Augsburger Platz in einem hässlichen Fünfziger-Jahre-Haus. Das Haus war ein normales Wohnhaus. Man konnte vom Gehweg hinunter ins Souterrain blicken. Das musste die Agentur sein. Ein Typ starrte angestrengt auf seinen Bildschirm. Obwohl es draußen taghell war, benötigte er eine Schreibtischlampe. Er sah auf und lächelte mich an. Ein sehr nettes, sehr jungenhaftes Lächeln. Vielleicht mein zukünftiger Kollege? Ich lächelte zurück. Besonders inspiriert hatte mich der Außentermin letztlich nicht, mir fiel nur die grauenhafte Kinderwagengeschichte wieder ein.
    Vom Augsburger Platz waren es nur ein paar Stationen bis zur Haltestelle
Mineralbäder
. Vor dem Leuze saß ein Kerl auf den Steinen. Mann, was für eine Knuffpraline, dachte ich instinktiv, bis ich merkte, dass es Leon war. Mein Herz machte einen Hüpfer. Ich warf mich auf ihn, wir rollten ins Gras und knutschten, bis wir keine Luft mehr bekamen und unsere Klamotten voller Grasflecken waren.
    Von der Kasse aus marschierten wir die Treppen hinunter zu den Umkleidekabinen. Blöderweise waren die Schränke alle belegt. Endlich fanden wir einen freien Spind.
    »Nimm du den hier, ich werde schon irgendwo einen auftreiben«, sagte Leon. »Wir treffen uns im rechten Außenbecken.«
    Toll, ein echter Kavalier!
    Ich ließ mir beim Umziehen Zeit und schlenderte dann zu den Duschen. Unter der Dusche war es eigentlich ganz angenehm. Ich stellte eine höhere Temperatur ein und

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