Bride 02 - Tempel Der Liebe
in erster Linie nach Liebenswürdigkeit, gegenseitigem Respekt, gleicher Herkunft und ähnlichen Erwartungen. Und doch - wenn er von Constancia träumte, wachte er immer mit dem Gefühl auf, dass eine Ehe ein fürchterlicher Fehler wäre. Es wäre schrecklich für ihn und die unglückliche Frau, die er heiraten würde, wer auch immer das sein mochte.
Er hatte niemandem erzählt, dass er Constancia geheiratet hatte; sogar Dominic wusste nur, dass er die Frau verloren hatte, die er von ganzem Herzen geliebt hatte. Nie war er einer anderen Frau begegnet, die so warmherzig, so großzügig und so leidenschaftlich gewesen war wie Constancia. Keine hatte ihn so gut verstanden wie sie. Obgleich sie seit nunmehr sechs Jahren tot war, würde sie immer die Frau seines Herzens bleiben.
Trauernd hatte er ihr den letzten Wunsch erfüllt und weitergelebt, obwohl es ihm schwer fiel. Aber zu leben war eine Sache, zu lieben eine ganz andere.
Kyle schlief tief und erwachte am nächsten Tag noch vor Sonnenaufgang. Er konnte es gar nicht abwarten, sich endlich auf die Reise zu begeben. Zuerst rieb er sich das Gesicht, den Hals und die Arme mit einer Lotion ein, die seine Haut ein paar Schattierungen dunkler machen würde. Troth hatte gesagt, die Wirkung würde einige Wochen anhalten.
Dann zog er die Sachen an, die sie ihm gegeben hatte. Die weiten blauen Hosen und die Tunika waren ärmlich und aus grobem Stoff. Sie hatten sie gebraucht gekauft. Da Troth keine gebrauchten Schuhe in seiner Größe gefunden hatte, hatte sie neue gekauft und sie so lange bearbeitet, bis sie alt und abgetragen aussahen.
Nachdem er sich einen Gürtel mit Geld umgebunden hatte, blickte er in den Spiegel. Er sah älter und verbraucht aus und viel weniger englisch.
Es klopfte an der Tür und Gavin trat ein. »Sie meinen es also wirklich ernst!«, sagte sein Freund düster.
Kyle schloss den Koffer ab und gab Gavin den Schlüssel. »Haben Sie etwa daran gezweifelt?«
»Wahrscheinlich nicht. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.« Sie schüttelten einander die Hände.
Kyle sagte: »Wir sehen uns in Macao, in ungefähr zwei Wochen.«
Er war schon an der Tür, als Gavin unvermittelt ausrief: »Gehen Sie nicht, Maxwell! Ich habe ein schlechtes Gefühl. Ich habe versucht es zu unterdrücken ... Aber meine schottischen Vorfahren hatten hellseherische Kräfte; sie flüstern mir ständig ins Ohr, dass Sie sich in Gefahr begeben. In ernste Gefahr!«
Kyle blickte ihn verwirrt an. »Haben Ihre hellsehenden Vorfahren Ihnen auch gesagt, wovor ich mich in Acht nehmen muss?«
Gavin zuckte die Schultern. »Vorahnungen sind wohl selten genau genug, um wirklich von Nutzen zu sein - aber ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen. Gehen Sie nicht.«
Nachdenklich trat Kyle zum Fenster und blickte hinaus auf den Perlfluss, der geisterhaft im Dämmerlicht lag. Gavin hätte so etwas nicht leichtfertig gesagt. War sein Wunsch, nach Hoshan zu reisen, nicht mehr als die Laune eines reichen Mannes?
Nein, sein Wunsch war tiefgründiger als das. Vielleicht würde er in Hoshan den Glauben oder die Weisheit entdecken oder etwas anderes, das seinem Leben einen Sinn geben konnte. Was auch immer dort auf ihn wartete, es war das Wagnis wert. »Ich schätze es sehr, dass Sie mich gewarnt haben, aber ich muss diese Reise einfach machen.«
Sein Freund seufzte. »Dann seien Sie bitte wenigstens vorsichtig und tun Sie, was Jin Kang Ihnen sagt.«
»Sorgen Sie sich nicht. Ich werde vor Ihrer Haustür in Macao stehen, ehe Sie sich's versehen.« Er verließ das Zimmer und ging leise die Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Er und Troth hatten die frühe Stunde gewählt, damit er in diesem Aufzug niemandem begegnete.
Die großen Hallen des Warenlagers waren jetzt beinahe leer. Die Ballen und Waren, die hier gelagert hatten, waren jetzt auf dem Weg nach Britannien und Amerika. Zurückgeblieben war nur ein starker Teeduft. Später, im Laufe des Tages, würde es hier von Angestellten des Elliott House nur so wimmeln. Sie würden das Lager zum Ende der Handelssaison aufräumen, ausfegen und dann alles abschließen. Bei dem Treiben würde niemand ihn vermissen.
Wie besprochen, wartete Troth in einem kleinen Büro im hinteren Teil des Hong auf ihn. Ihr Gesichtsausdruck war ernst. Sie hatte ihre Kleidung gegen die schäbigen Sachen eines Arbeiters getauscht. Sie würden ein gutes Bauernpaar abgeben.
»Sie haben sich verspätet, Mylord. Ich habe mich schon gefragt,
Weitere Kostenlose Bücher