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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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doch bestimmt zahlreiche Menschen begegnet, die der Krieg zu Krüppeln gemacht hat. Ihr Stolz gebietet es ihnen, trotz ihrer Behinderung unabhängig zu bleiben. Mein Mann glaubte, auch ohne meine Hilfe zurechtkommen zu können. Ein verhängnisvoller Irrtum, wie wir spätestens seit gestern wissen.«
    Als sie zum Pavillon zurückkamen, mussten sie feststellen, dass eine Armee roter Ameisen Siris Motorrad eingenommen hatte. Phosy schlug geistesabwesend mit seiner Mütze nach den Insekten.
    »Was meinen Sie?«, fragte er.
    »Also, ich würde sagen, wir haben zwei wichtige Erkenntnisse gewonnen«, meinte Siri. »Erstens hat Dr. Buagaews Frau ihren Mann nicht geliebt, und zweitens hat der Zahnarzt sie nach Strich und Faden belogen.«
    Ein markerschütternder Schrei riss ihn aus seinen Gedanken. Während Phosys Frontalangriff auf die feindlichen Ameisen war eine Nachhut unbemerkt sein Hosenbein hinaufgekrabbelt und erfolgreich bis zu seinem Oberschenkel vorgedrungen. Es ist nicht leicht, ein ernsthaftes Gespräch mit einem Mann zu führen, der sich mitten auf der Hauptstraße die Hose vom Leibe reißt.

5
MAN STIRBT NUR EINMAL
    Es war zwischen zwei und drei Uhr morgens, und nur Dtui, Siri und Phosy saßen noch unter dem dunklen Blätterbaldachin im Hof des Tempels. Zwei Mal schon hatte der Abt sich aus dem Bett gehievt und sie triefäugig daran erinnert, dass seine Mönche um fünf aufstehen und Almosen sammeln mussten, ob sie wohl etwas leiser sein könnten? Zwei Mal hatten die Trauernden sich entschuldigt und ihre angeregte Unterhaltung in respektvollem Flüsterton fortgesetzt. Leider haben große Mengen Reiswhisky die unschöne Angewohnheit, die Lautstärkeregelung des Körpers vorübergehend außer Kraft zu setzen. Nicht lange, und sie lachten, sangen und tranken auf Manoluk, die auf Nelken und Tabakblätter gebettet in der Gebetskammer gleich hinter ihnen lag. Man stirbt schließlich nur einmal, und das ungleiche Trio wollte seiner alten Freundin und Mutter einen gebührenden Abschied bereiten.
    Kurz vor eins waren die letzten Trauergäste heimwärts getorkelt, und obwohl sie zu Tode erschöpft waren, fühlten sich die drei Genossen verpflichtet, Totenwache zu halten. Sie drängten sich um den kläglichen Rest einer orangefarbenen Kerze. Kein Windhauch ließ die Flamme erzittern oder machte die schwüle Nachthitze erträglicher.
    »Sie würden es mir doch sagen, nicht, Doc?«, brachte Dtui mit Mühe über ihre tauben Lippen. Reiswhisky wirkte nicht berauschend, sondern narkotisierend.
    »Was?«
    »Wenn sie zu Ihnen kommt.«
    »Manoluk? Seien Sie nicht albern. Die Geister nehmen nur mit mir Kontakt auf, wenn sie keine Ruhe finden. Warum sollte Ihre Mutter unglücklich sein?«
    »Zum Beispiel, weil sie tot ist«, gab Phosy zu bedenken.
    Wo man mit einer Leiche trinkt, da ist kein Platz für falsche Pietät. Bemerkungen wie diese ernteten schallendes Gelächter. In der Hütte des Abtes wurde laut gehustet.
    »Zugegeben«, flüsterte Siri, »sie ist vielleicht nicht gerade froh darüber, dass sie tot ist, aber die Liebe und Hingabe, mit der Dtui sich all die Jahre um sie gekümmert hat, dürften ihre Seele in Frieden ruhen lassen. Mehr kann eine Mutter von ihrer Tochter wahrhaftig nicht verlangen.«
    Sie stießen auf Dtui an.
    »Aber wenn sie doch kommt«, sagte Dtui, »und sei es nur, um Hallo zu sagen oder Ihnen von ihrem neuen Teakholzhaus im Nirwana zu erzählen, dann geben Sie mir doch Bescheid, ja?«
    »Ehrenwort.«
    Phosy wankte davon, um den Stachelbeerstrauch vor dem Tempelportal zu wässern. Es herrschte selige Ruhe, die in Laos mitunter recht laut sein kann. Insekten summten und sirrten, in der Ferne bellte ein Hund. Irgendwo versetzte eine Eidechse ein Klangspiel in Bewegung. Balken knarrten und ächzten. Wasser tropfte aus einem undichten Hahn in das große steinerne Tempelbecken. Aber wie dem Unwissenden jeder Laote versichern wird, macht diese musikalische Untermalung die Stille umso interessanter.
    »Wissen Sie was? Ich wusste es«, gestand Dtui.
    »Was?«
    »Dass sie sterben würde.«
    »Natürlich, das haben wir doch alle geahnt.«
    »Nein, ich meine, ich wusste genau, wann. Gestern Abend. Ich bin so schnell wie möglich nach Hause gefahren, um die letzten Stunden bei ihr sein zu können. Darum habe ich den Gartendienst geschwänzt.«
    »Hat Tante Bpoo es Ihnen verraten?«
    Dtui sah ihren Chef lächelnd an. »Sie waren bei ihr, stimmt’s? Hab ich’s Ihnen nicht gesagt?«
    »Ich fand sie reichlich

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