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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Laut mehr zu hören. Siri spürte den pochenden Puls in seinen Handgelenken. Er spürte das Gewicht seines Herzens. Ihm rauschten so viele Gedanken und Gefühle durch den Kopf, dass er gar nicht erst versuchte, sie zu verarbeiten.
    »Entschuldige«, sagte Civilai. »Ich wollte dich nicht …«
    »Doch, du wolltest.«
    Sie saßen da und starrten sich gequält lächelnd an. Siri stand auf und legte seinem Freund auf dem Weg zur Tür die Hand auf die Schulter. Eine Viertelstunde später kehrte er mit einem Tablett zurück. Darauf: eine Flasche Whisky, ein Kübel Eis, zwei kleine Flaschen Sprudel, ein Krug Leitungswasser und eine Tüte Krabbenkräcker. Er stellte das Tablett auf den Tisch und machte es sich in seinem Sessel bequem.
    »Meinst du, so leicht bin ich umzustimmen?«, fragte Civilai. Sein Lächeln war jetzt echt.
    »Jawohl. Und die Erfahrung gibt mir recht. Seit wir hier sind, hast du kaum einen Tropfen angerührt. Der Alkohol scheint dir zu fehlen.«
    Civilai übernahm die Rolle des Barmannes. »Was ich gesagt habe, tut mir leid, Genosse. Die Macht der Verzweiflung. Ich bin ich letzter Zeit nicht ganz ich selbst«, sagte er. Das Klingeln der Eiswürfel in den Gläsern war Musik in ihren Ohren.
    »Ein Grund mehr, sich einen auf die Lampe zu gießen.«
    Und so gossen sie. Obwohl ihr Aufenthalt im Süden weitgehend ergebnislos verlaufen war, wussten die beiden Männer, dass eine Rückkehr nach Vientiane kaum etwas bringen würde. Der Whisky löste die Spannung zwischen ihnen zwar ein wenig – er erinnerte sie an all das, was sie gemeinsam durchgemacht und durchgestanden hatten –, dennoch gelang es Siri nicht, das Vertrauen seines Freundes zurückzugewinnen.
    Siri kam mit einem Tablett ins Zimmer. Darauf: eine Flasche Whisky, ein Kübel Eis, zwei kleine Flaschen Sprudel, ein Krug Leitungswasser und eine Tüte Krabbenkräcker. Er stellte das Tablett auf den Tisch und machte es sich in seinem Sessel bequem.
    »Ich glaube, ich habe gerade ein Déjà-vu-Erlebnis«, gestand Civilai.
    »Das erste Mal war nur eine Illusion«, sagte Siri. »Das hier ist echt.«
    »Du hast doch nicht etwa vergessen, dass ich eigentlich zur Kur hier bin? Schließlich leide ich unter chronischen Hämorrhoiden.«
    »Wehe, du setzt dich auf meinen Schoß. Und jetzt schenk ein!«
    Civilai mixte die ersten beiden Drinks der zweiten Runde, und die alten Kämpen nippten an ihren Gläsern, als würden sie zum ersten Mal in ihrem Leben Whisky trinken.
    »Ein guter Jahrgang«, meinte Siri.
    »Neunzehnhundertsiebenundsiebzig, würde ich meinen.«
    »Weißt du, was ich denke, älterer Bruder?«
    »Als ob irgendjemand wüsste, was in deinem Kopf vorgeht.«
    »Ich denke, wir sollten uns den Champasak-Palast mal ansehen.«
    »Was, jetzt?«
    »Nein, bei Tageslicht natürlich.«
    »Dieses verfallene Gemäuer? Wozu?«
    »Von wegen verfallen. Verfallen kann nur etwas, das einmal funktionstüchtig war und im Alter morsch und bröcklig wird.«
    »Wie wir.«
    »Genau. Der Palast kann schon deswegen nicht verfallen sein, weil er nie fertig geworden ist.«
    »Und auch nie fertig werden wird.«
    »Wer weiß. Womöglich fällt das Land eines Tages Kapitalisten in die Hände, die ihn zu einem Fünf-Sterne-Hotel umbauen.«
    »Der fette Prinz würde im Grab rotieren.«
    »Ich glaube kaum, dass er tot ist.«
    »Dann rotiert er eben in seinem königlichen Bett und zerquetscht dabei die eine oder andere willige Gespielin.«
    Siri hob den Finger an die Lippen.
    »Psst. Ist dir eigentlich klar, dass es in Pakxe strengstens verboten ist, den fetten Prinzen auch nur zu erwähnen?«
    »Das geschieht diesem Drecksack ganz recht. Kanntest du ihn nicht sogar persönlich?«
    »›Kennen?‹ Was heißt hier ›kennen‹? Ich bin ihm ein paarmal über den Weg gelaufen. Unser Jugendlager war in der Nähe seines Landsitzes in Champa. Er schaute ab und zu vorbei, um den Knaben die Hand zu schütteln und den Mädchen in den Hintern zu kneifen. Er mimte gern den Märchenprinzen.«
    »Wusste er denn nicht, was in den Lagern vor sich ging?«
    »Er kannte nur das offizielle Programm: die Sport- und Trainingsseminare. Er ahnte nicht, dass wir die Kinder darauf vorbereiteten, seine geliebten Franzosen aus dem Land zu jagen. Damals spielte er hier unten den Grand Empereur. Er hätte es sich niemals träumen lassen, dass seine Untertanen sich eines Tages gegen ihn erheben würden. Als die Lao Issara unsere Unabhängigkeit erkämpfte, war er wie vor den Kopf geschlagen, traf aber genau den

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