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Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt

Titel: Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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dieselbe Sprache und verstanden sich auf Anhieb. Nur der Mekong verhinderte, dass sie derselben Nationalität angehörten. Der Fluss verlief mitten durch laotisches Gebiet mit einer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Kultur. Eigentlich hätte er eine Hauptverbindungsader sein sollen und keine Trennungslinie. Doch Flüsse haben nun einmal nicht selten die unangenehme Aufgabe, eine Grenze zu markieren. Und so mussten eine Million Laoten eines unschönen Morgens feststellen, dass sie über Nacht zu Thais geworden waren. Der Wasserweg, der sie einst geeint hatte, riss nun Familien auseinander und machte sie zu Feinden wider Willen. Es gab kein Zurück. Um das laotische Volk wiederzuvereinen, hätte man den Mekong schon trockenlegen und zuschütten müssen.
    »Was jagen Sie denn?«, fragte Dtui.
    »Kaninchen. Die kleinen Mistviecher sind zwar zäh wie Leder, aber seit diese verfressenen Drecksäcke gleich nebenan wohnen, gibt’s hier nichts Besseres mehr.« Er wies mit gerecktem Kinn auf den Bambuszaun.
    »Wohnen Sie hier in der Gegend?«, fragte sie. Sie ging neben ihm her über das abgeholzte Land.
    »Gleich da drüben. Nur eine kleine Hütte, aber ich bin darin zur Welt gekommen, also ist sie mein Zuhause.«
    »Dann erinnern Sie sich noch an die amerikanische Besatzung?«
    » Sure do« , sagte er auf Englisch und zog sich den Hut etwas tiefer in die Stirn. »Was glauben Sie, wo ich den herhabe?«
    »Es heißt, das ganze Lager war damals ein US -Waffendepot.«
    »Waffendepot und Militärstützpunkt. Darum brauchten sie auch so viel Land. Zwischen den Häusern und den Bomben musste schließlich ein gewisser Sicherheitsabstand bestehen, für alle Fälle. Wir stehen hier mitten im Lager der Amis. Der Zaun verlief früher dort drüben.« Er deutete zum anderen Ende der Lichtung.
    »Sie meinen, das Lager ist verkleinert worden?«
    »Ja. Komisch, nicht? Es wächst in alle Himmelsrichtungen, nur dieses Stück bleibt unberührt. Das muss an der A-Bombe liegen.«
    »An welcher A-Bombe?«
    »Die Amerikaner hatten ihre A-Bomben hier gelagert, und die Strahlung hat das Land verseucht und unbewohnbar gemacht.«
    »Wer sagt das?«
    »Die Soldaten.«
    »Amerikaner?«
    »Nein, Laoten. Sie haben meiner Frau und mir geraten, nachts nicht hierherzukommen, weil die Strahlung dann noch gefährlicher ist als sonst.«
    »Sie haben laotische Soldaten hier gesehen?«
    »Ja.«
    »In Uniform?«
    »Nein, aber die erkenne ich auch so.«
    »Dann kommen Sie nachts also nicht hierher. Und Sie glauben die Geschichte mit der Strahlung?«
    »Eigentlich nicht. Aber wenn junge Männer mit Gewehren mir sagen, dass ich mich nachts nicht hier herumtreiben soll, würde ich ihnen fast alles glauben. Sie nicht?«
    »Eine letzte Frage.«
    »Sind Sie beim Radio?«
    »Hä?«
    »Wenn es Batterien gibt, hören wir manchmal laotisches Radio. Die Frauen da haben alle so schöne Stimmen wie Sie. Sind Sie Reporterin?«
    »So was Ähnliches. Letzte Frage: Haben sie – ich meine die Amerikaner – all ihre Waffen unter freiem Himmel gelagert?«
    »Die meisten. Sie haben sie unter Tarnnetzen und Laub und so versteckt. Aber einen Teil haben sie auch in den Kellern deponiert.«
    »Sie wissen nicht zufällig noch, wo diese Keller waren?«
    »Nein, keine Ahnung. Ich weiß auch nur davon, weil mein Neffe als Träger für die Amerikaner gearbeitet hat. So bin ich auch an meinen Hut gekommen. Gefällt er Ihnen?«
    »Er ist wunderschön.«
    Dtui saß schwitzend im Schatten der Teufelsvagina. Statt Kühle zu spenden, schien der Baum Hitze abzugeben. Sie war die Lichtung Zentimeter für Zentimeter abgegangen und hatte dabei mit den Füßen aufgestampft, in der Hoffnung, auf einen Hohlraum oder dergleichen zu stoßen, ohne Erfolg. Irgendetwas musste sie übersehen haben. Siri hatte den Baum in seinem Brief erwähnt, sein Name diente den Putschisten als Codewort. Phosy war gleich hinter dem Zaun verschwunden. Es musste eine Verbindung geben, und sie musste hier zu finden sein.
    Eine geschlagene Stunde zermarterte Dtui sich das Hirn, als sich plötzlich die Erde bewegte. In gut fünfundzwanzig Metern Entfernung hob sich langsam ein Klumpen Lehm. Er war rund dreißig Zentimeter dick, und darunter steckte ein Kopf, der, wie sie sogleich erkannte, dem stellvertretenden Sektionschef Kumhuk gehörte. Er spähte nach allen Seiten, verwechselte Dtui offenbar mit einem Schatten und warf den Lehmklumpen beiseite. Er hievte sich aus der Erde, setzte die Scholle wieder ein und rannte

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