Briefe an einen Blinden - Dr Siri ermittelt
am Arm packte. »Unterschreiben!«
Er hielt ihr einen Wisch hin, der besagte, dass sie in der Haft weder misshandelt noch belästigt worden sei. Er war auf Thai, und der Beamte nahm vermutlich an, dass sie kein Wort verstand. Sie unterzeichnete mit »Minnie Mouse«, auf Englisch. Er machte sich nicht die Mühe, die Unterschrift zu prüfen.
Dtui humpelte auf steifen Beinen so schnell sie konnte in ihr Zimmer. Es war leer, das Bett war unbenutzt, alles schien an seinem Platz. Schwer atmend sank sie auf die dünne Matratze.
»Denk nach, Dtui, denk nach.«
Sie durfte nichts überstürzen oder gar Anschuldigungen erheben, denn schließlich war es durchaus möglich, dass Phosy sich dem Widerstand angeschlossen hatte. Sie durfte seine Tarnung nicht gefährden. Sie musste sich damit begnügen, die arme Flüchtlingsfrau zu spielen, deren Mann verschwunden war. Wenn sie die Aufmerksamkeit der Behörden durch allzu unüberlegtes Handeln auf die geheimen Aktivitäten im Lager lenkte, würde man früher oder später sicher auch sie zu einem Volleyballtraining einladen.
Sie machte sich auf den Weg zu Sektion 16. An jeder Ecke blieb sie stehen, beschrieb den Leuten ihren Mann und fragte, ob ihn jemand gesehen habe. Auf Platz 4 angekommen, setzte sie sich auf eine Bank und betrachtete den weichen Lehm, in dem kein einziger Fußabdruck zu sehen war. Ein streunender schwarzer Ridgeback kam angetrottet und schnupperte an ihren Füßen.
»Was würde ich tun, Hund?«, fragte sie. »Was würde ich tun, wenn ich meinen Mann tatsächlich lieben würde? An wen würde sich eine verzweifelte Ehefrau wenden?«
Zwanzig Minuten später stand sie vor dem weißgetünchten Sekretariat der Church of the Christian Brotherhood. Ihre Tränen waren echt, ihr Vortrag gekünstelt.
»Ich verlieren meine Mann«, rief sie auf Englisch durch die offene Tür. Als niemand reagierte, versuchte sie es noch einmal. »Mein Leben haben fertig. Ich mich bringen um.« Wieder schien sich drinnen nichts zu regen, und sie fragte sich, ob das Sekretariat womöglich gar nicht besetzt war, als plötzlich ein junger Westler mit rotblonden Locken aus dem Schatten trat. Der Mann war schrecklich dürr und gelb wie Bambus in einem schlechten Jahr. Seine Kleidung konnte eigentlich nur aus einer Altkleidersammlung stammen.
»Was sagen Sie da?«
Für eine Laotin, die an Hand alberner amerikanischer Lehrbücher und der einen oder anderen Sendung des BBC World Service Englisch gelernt hatte, war sein irischer Akzent vollkommen unverständlich. Sie sprach bewusst langsam und deutlich, in der Hoffnung, dass er sich an ihr ein Beispiel nehmen würde.
»Mein Mann ist verloren. Bitte helfen Sie.«
»Haben Sie einen Termin?«, fragte er.
Dtuis unkontrollierbarer Tränenstrom ließ den Mann seinen Terminkalender rasch vergessen, und er eskortierte sie hinein. Bruder Fred war weiter nichts als ein junger Bursche, dem man die Verwaltung einer ökumenischen Mission aufgehalst hatte. Er war aus dem Priesterseminar schnurstracks ins Kirchensekretariat gewechselt. Seelen waren seine Sache nicht. Im Grunde war Dtui das erste Opfer, mit dem er sich von Angesicht zu Angesicht, ohne den Umweg über einen christlichen Dolmetscher, auseinandersetzen musste. Ihre Not weckte sein Mitleid und sein Pflichtgefühl. Trotz ihrer Tränen und seiner Sprachprobleme gelang es ihnen, die Geschichte notdürftig zu rekonstruieren, und der junge Diener des Herrn erklärte sich bereit, ihr bei der Suche nach Phosy zu helfen.
Es dauerte nicht lange, bis Dtui klar wurde, dass sie einen Fehler begangen hatte. Bruder Fred schleppte sie zu sämtlichen Hilfsorganisationen und thailändischen Regierungsstellen und verkündete lauthals und mit großer Geste, dass der Mann dieser armen Frau verschüttgegangen sei. Überall trafen sie auf unverhohlenes Gähnen. Als er schließlich in der Verwaltungszentrale des Lagers saß und im Vatikan oder wer weiß wo anzurufen versuchte, machte sie sich klammheimlich von dannen und ließ ihn mit seinem Rosenkranz allein.
Sie kehrte in den Bereich 34 zurück und sah noch einmal in ihrem leeren Zimmer nach. Auch Bunteuks Unterkunft fand sie verlassen vor. Die Nachbarn hatten seine junge Frau seit vierundzwanzig Stunden nicht gesehen. Sie wandelte ein zweites Mal auf Phosys Spuren, marschierte zu Platz 4 und setzte sich dort auf die Bank vor dem Bambuszaun. Ihr Hundefreund hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Er kam bei Fuß und hockte sich neben sie.
»Entweder er war hier«,
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