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Briefe aus dem Gefaengnis

Briefe aus dem Gefaengnis

Titel: Briefe aus dem Gefaengnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Chodorkowski
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verurteilen? Das ist mir unangenehm, und, was wichtiger ist, es ist sinnlos. Wir hier müssen Russland ändern. Anders geht es nicht. Aber hier gibt es andere Probleme. Die Zeitung »Nowaja Gaseta« hat viele Leser, die wie ich denken. Sie von etwas überzeugen zu wollen ist unnötig, denn sie wissen das alles selbst. Und bei Fragen, in denen ich nicht mit ihnen übereinstimme, würden meine bitteren Briefe, würden sie veröffentlicht, bestimmten Kreisen gerade recht kommen: »sieh mal einer an, die Liberalen, diese Schweine, sogar Chodorkowski schimpft über sie« oder »Chodorkowski will die Begnadigung erreichen, indem er über die Opposition schimpft«. Als man mir völlig unerwartet erlaubte, der »Financial Times« ein Interview zu geben (wofür die Gerichtssekretärin meiner Meinung nach einen Rüffel bekam), saßen auch die Vertreter zweier unserer Presseorgane im Saal, interessierte Leute, wir diskutierten zum Beispiel über die Perspektiven der Region Tschita (einer der Journalisten kam von einer Zeitung aus Tschita). Wir unterhielten uns lange, wir hatten fast zwei Stunden. Die »Financial Times« publizierte alles, was ich ihrem Reporter gesagt hatte, aber nichts von dem, was ich unseren Leuten gesagt hatte. Unsere Journalisten schwiegen, aber unsere Zeitungen druckten mit Begeisterung das Material der »Financial Times« ab. Warum ist klar, aber ich hätte mich nie einverstanden erklärt, der »Financial Times« ein Interview zu geben und unseren Leuten nicht. Was das Lager betrifft, ja, nach jedem Artikel kam ich in Isolationshaft. Vielleicht war das Zufall. Aber ich pfeife darauf. Ich habe keine Angst mehr. Nach dem Artikel in der »Financial Times« passierte das allerdings nicht. Waren sie klüger geworden?
Oder hatten sich die Zeiten geändert? Das sage ich so daher, aus übertriebenem Optimismus.
    Akunin: Was für mich am schwersten zu ertragen war, war der Prozess. Lassen Sie uns mit dem Gericht und den Richtern beginnen. Mir scheint in Russland heute die Zeit gekommen, wo der Mensch die persönliche Verantwortung für seine Taten trägt. Jeder hat die Wahl, ob er sich an einer Schweinerei beteiligen will oder nicht. Während des Großen Terrors stampften Richter und Staatsanwalt aus Angst um ihr eigenes Leben Schuldsprüche aus dem Boden. Unter Breshnew hätten Journalisten, die es ablehnten, einen Dissidenten zu verurteilen, riskiert, selbst ins Gefängnis oder in die Irrenanstalt zu kommen. Heute geht es nur um die Karriere. Man kann die Richterrobe ausziehen und sich als Verteidiger betätigen. Die Wahl ist also nicht so dramatisch, da gibt es keine Rechtfertigung für eine Schweinerei. Der Fall Jukos ist die schändlichste Seite in der Geschichte der postsowjetischen Justiz. Er wird bestimmt in die Geschichtsbücher eingehen. Und zwar nicht nur die Namen der Verurteilten, sondern auch die Namen der »besten Schüler« aus der Zunft der Richter und Staatsanwälte, genauso wie das bei der unvergesslichen Richterin Saweljewa geschah, die Joseph Brodsky an den Pranger stellte. Was denken Sie von den Akteuren, die die Untersuchung führten, die Anklage vertraten, das Urteil sprachen? Ich war bei Ihrem Prozess, bei dem Prozess gegen Alexanjan 35 und schaute unverwandt in das Gesicht der Juristen. Was geht in ihrem Inneren vor? Es ist für mich ein Rätsel, wieso sie nicht darüber
nachdenken, dass es gar nicht so lange dauern wird, bis ihre eigenen Kinder sich ihrer schämen werden. Was sind das für eigentümliche Menschen, wie funktionieren sie?
    Chodorkowski : Wenn man darüber spricht, wie sich Russland seit der Sowjetzeit geändert hat, denke ich an das Gericht. Es klingt merkwürdig, aber der Prozess ist für mich eine Möglichkeit geworden, meine Kollegen und Mitbürger neu zu sehen und einzuschätzen. Sie wollen etwas über Staatsanwalt Schochin oder die Richterin Kolesnikowa hören? Das sind kleine Beamte, die man niemals bei einem solchen Prozess eingesetzt hätte, wenn sie eine reine Weste hätten. Über Kolesnikowa meldete die »Nowaja Gaseta«, gegen sie sei eine Klage anhängig, die während des ganzen Prozesses unbearbeitet bei der Generalstaatsanwaltschaft gelegen habe. Bei einer ähnlich gelagerten Anklage (es ging um einen Wohnungsstreit) haben andere zwölf Jahre bekommen. Ich kann nicht beurteilen, inwieweit es dabei mit rechten Dingen zuging, aber ich denke, der Kolesnikowa war klarer als mir, dass es in einem solchen Fall gar nicht auf die Wahrheit ankommt. Was Schochin

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