Briefe aus dem Gefaengnis
Steuerrecht eingehen, weil sie belegen, dass Ölförderung in Russland unrentabel ist. Es war klar, dass die Beamten zu allem imstande waren, Hauptsache, Eigentum würde umverteilt.
Aber – das mag für viele seltsam klingen – der Verlust meines Vermögens ist für mich nicht sonderlich schmerzlich.
Wie viele andere Häftlinge, bekannte und unbekannte, bin ich dankbar für die Zeit im Gefängnis. Sie hat mir Monate intensiver Besinnung geschenkt, Zeit vieles zu überdenken. Mir war bereits zuvor bewusst, dass Eigentum an sich, besonders großes Eigentum, den Menschen keineswegs frei macht. Als Miteigentümer von Jukos habe ich enorme Kraft darauf verwenden müssen, dieses Eigentum
zu verteidigen. Ich musste mich in allem einschränken, was diesem Eigentum hätte schaden können.
Ich verbot mir vieles zu sagen, weil ein offenes Wort dieses Eigentum hätte beeinträchtigen können. Ich musste immer wieder ein Auge zudrücken und Kompromisse machen – für dieses Eigentum, seinen Erhalt und seine Mehrung. Nicht ich regierte über das Eigentum, das Eigentum regierte über mich.
Deshalb möchte ich besonders die junge Generation warnen, die bald die Verantwortung haben wird: Strebt nicht nach großem Reichtum. Denkt nicht, das Leben sei dann leicht und bequem. Eigentum eröffnet Möglichkeiten, aber es führt auch zur Unterdrückung der kreativen Kräfte des Menschen, zur Aushöhlung seiner eigentlichen Individualität. Darin zeigt sich eine grausame Tyrannei: die Tyrannei des Eigentums.
Nun bin ich in eine andere Phase eingetreten. In wirtschaftlicher Hinsicht durchaus ein Vertreter des wohlhabenden Teils der Mittelschicht, bin ich jetzt ein gewöhnlicher Mensch geworden, für den es nicht auf das Haben, sondern auf das Sein ankommt. Und das besteht nicht im Kampf um ein Vermögen, sondern im Kampf um das, was dich ausmacht, um das Recht auf eine eigene Persönlichkeit.
Bei diesem Kampf kommt es nicht auf die Position in diesem und jenem Ranking an, auf einflussreiche Verbindungen oder das Werbeimage. Nur du selbst zählst, deine Gefühle, Ideen, Fähigkeiten, dein Wille, Verstand, Glaube. So sieht wohl die einzig mögliche und richtige Wahl aus: die Wahl der Freiheit.
Unlenkbare Demokratie
Der Fall Jukos hängt unmittelbar mit der Regierung zusammen. Wie wird sie nach Jukos aussehen? Das ist eine äußerst wichtige Frage. Eine alte Redensart besagt: Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Ich möchte hinzufügen: Alle Machtverhältnisse sind ein Spiegelbild der konzentrierten Vorstellungen eines Volkes vom Wesen der Macht. Und die Stabilität eines Staates gründet sich letztlich darauf, wie das Verhältnis zur Macht traditionell aufgefasst wird. Deshalb ist, von der »Demokratisierung« einiger arabischer Monarchien nach westlichem Vorbild zu sprechen, genauso absurd, als wollte man von der Restauration der absoluten Monarchie mittelalterlichen Typs im heutigen Dänemark sprechen.
Die russische politische Tradition ist in dieser Hinsicht inhomogen. Russland befand (und befindet sich auch jetzt) immer an der Grenze der Kulturen, aber es ist doch überwiegend ein europäisches Land. Deshalb sind die europäischen politischen Institutionen, die die Gewaltenteilung zur Voraussetzung haben, für unser Land selbstverständlich.
Andererseits darf man auch die Kehrseite der Medaille nicht übersehen. Das russische Volk ist es gewohnt, den Staat als eine höhere Macht zu betrachten, die Hoffnung und Glauben schenkt. Eine solche Macht kann man nicht für sich einspannen, man muss erst einmal aufhören, sie als höhere Macht zu betrachten. Wie uns die russische Geschichte lehrt, führt der Verlust dieser besonderen, irrationalen Hochachtung vor dem Staat unser Land unweigerlich und unabänderlich ins Chaos, zu Aufruhr und Revolution.
Dabei darf man die Begriffe »Macht« und »Verwaltung«
nicht verwechseln. Die Funktion der Verwaltung übt der Beamte aus, und der ist beileibe keine heilige Kuh. Der Bürokrat ist ein einfacher Sterblicher, der dazu da ist, die Verantwortung für alle Probleme zu übernehmen.
Die Zerschlagung von Jukos zeigt, dass die außer Kontrolle geratenen Beamten sich keineswegs von den Interessen des Staates als solchem, der ewig und deshalb mächtig ist, leiten lassen. Sie gehen davon aus, dass die Staatsmaschine zur Befriedigung ihrer persönlichen Interessen dient und alle anderen Funktionen dieser Maschine, da sie nicht gebraucht werden, zeitweise (oder für immer) außer Kraft
Weitere Kostenlose Bücher